Wie hat es Peter Pilz so schön im Ö-1-Morgenjournal formuliert: Die Frage, ob das Parlament dem Kanzler Vertrauen entgegenbringt oder nicht, ist "nicht eine Frage von politischen Stimmungen, sondern von politischer Verantwortung".

So es ist es.

Und dennoch ist die aktuelle politische Diskussion von Stimmungen geprägt:

Der Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz ist tief getroffen davon, dass "sein" Projekt vom Regierungspartner gesprengt, dass sein Vertrauen auf die Resozialisierbarkeit pubertärer Ausreißer und rechtsextremer Ränder in der Politik durch die Realität atomisiert wurde. Gleichzeitig verlässt sich der gescheiterte Regierungsschef auf die Stimmung der Bevölkerung. Darauf, dass er, sollte er von der Opposition aus dem Amt gejagt werden, darauf zählen darf, als Märtyrer aus der Sache auszusteigen. Möglicherweise hofft er sogar darauf, und ist das der Grund dafür, dass er die Oppositionschefs zwar einlädt, aber nicht wirklich das Gespräch mit ihnen sucht.

Die ÖVP als Verwalter der Macht

Kurz nützt alles, was die SPÖ unter Zugwang bringt, ohne seinerseits Schuld, Reue oder Gewissen spüren zu lassen, wenn er 180-Grad-Wenden vollzieht. Hätte er die Abkehr des nunmehrigen Innenministers vom 1,50-Euro-Stundenlohn für Asylwerber damit begründet, dass er froh darüber sei, endlich wieder "menschlich" agieren zu dürfen, hätte er der SPÖ den Widerstand schwer gemacht. Aber es hätte ihn die Sympathien jener gekostet, die seinen Kurs innerhalb der eigenen Partei bisher mittragen mussten und jener, die er aus dem FPÖ-Lager auf türkises Terrain zu ziehen hofft.

Die SPÖ in der Angst, schuldig zu werden

Die SPÖ mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner war die vergangenen 17 Monate tief getroffen davon, wie schnell sie vom amtierenden Kanzler und seinen neuen Verbündeten marginalisiert wurde. Was traf, war vor allem der provokant inszenierte mangelnde Respekt. Das war neu im politischen Getriebe in Österreich, und es hat Spuren hinterlassen, die man nicht dadurch verwischen kann, dass jemand stumm dabeisitzen darf bei der Regierung, der dort - in Zusammenhang mit der Gewaltenteilung zwischen Regierung und Parlament - tatsächlich gar nicht hingehört. Gleichzeitig fürchtet man sich vor den Emotionen der Bevökerung, die auf der Suche nach einem "Schuldigen" für die Vertreibung des vermeintlichen Heilsbringers aus dem Paradies womöglich von der FPÖ auf die SPÖ umschwenkt.

Die FPÖ in der Märtyrer-Rolle

Die FPÖ, eben noch strahlende Regierungspartei, die sich in ihrer neuen Macht sonnte, wurde dahingerafft vom Rausch einer Nacht. Was Kurz erst werden könnte, ist Heinz-Christian Strache schon, zumindest in der eigenen Wahrnehmung: Der Märtyrer, weil man ihn und die Regierung "fertig machen" wollte. Die logische Reaktion: Ein "Jetzt erst recht(s)"-Wahlkampf und die Selbstinszenierung über die sozialen Medien, denen Strache seinen Aufstieg verdankte.Interessant: Quasi über Nacht verlor Strache mehr als 100.000 Facebook-Freunde. Auch das eine Frage von Gefühlen, viel Fans wandten sich entsetzt ab.

Diejenigen, die am nüchternsten reagierten, sind Grüne und Neos. Vor allem deshalb, weil sie nicht unter Zugzwang sind (es geht beim Misstrauensantrag hauptsächlich um die Stimmen von FPÖ und SPÖ), und weil sie gelassen davon ausgehen können, dass die Regierungskrise ihnen jedenfalls nützt.

Eine Frage des Vertrauens

Die Frage, ob die Opposition Kurz das Vertrauen ausspricht und ihn bis zur Wahl Kanzler sein lässt, hängt nicht davon ab, ob er die Übergangszeit gut bewältigen kann. Ja, er kann. Jeder andere, der als "grauen Eminenz" diese Funktion übernehmen würde, sei es Alt-Bundespräsident Heinz Fischer oder Alt-EU-Kommissar Franz Fischler, könnte aber auch.

Es ist also tatsächlich eine Frage des Vertrauens im weitesten Sinne: Vertraut man (insbesondere die SPÖ) darauf, dass Kurz die Opposition nicht nur vorübergehend hofiert, es nicht sein eigentliches Ziel ist, den verlängerten Kanzler-Bonus dazu zu nützen, sich nach der Wahl mit einer erneuerten FPÖ erst recht wieder die Schalthebel der Macht zu sichern?

Vertraut man (insbesondere die FPÖ) darauf, dass Kurz den abhanden gekommenen Regierungspartner nicht nur deshalb nicht allzu stark attackiert, weil er auf deren Wähler schielt, weil er nach der Wahl, gestärkt, sich einen neuen Partner aussuchen kann?

Der Bauch regiert das Hirn

Der Bauch regiert das Hirn, und die Strategen in den Parteizentralen versuchen abzuwägen zwischen dem Vertrauen in die eigene Hoffnung und der Sorge um den Erfolg der Taktik der Gegner.

Das ist es. Und nicht die Frage, ob der Staat am Abhandenkommen einer Person zerbricht. Die Verfassung ist stark genug, und das Funktionieren der demokratischen Instrumente bis zur Wahl ist gesichert.

In Bezug auf die Verantwortung gegenüber dem Staat braucht die Opposition also keine Sorge haben. Den Doppelmühlen in der Verantwortung gegenüber dem Wähler könnte sie entkommen, indem die Abstimmung freigegeben und damit sichtbar wird, worum es eigentlich geht:

Um Vertrauen als emotionale Voraussetzung auch für die rationale Frage, mit wem man politisch kann. Und mit wem nicht.