Die Regierung hat ausgerechnet am 1. Mai die Steuerentlastung beschlossen. Ist das nicht ein Foul an der SPÖ?

HUBERT FUCHS: Ich war früher Steuerberater. Ich bin es gewohnt, am Sonn- und Feiertag zu arbeiten. Ich sitze auch jetzt im Finanzministerium nicht in der Sonne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es die SPÖ als Foul empfindet, wenn wir am Tag der Arbeit eine massive Entlastung der Arbeiter und Pensionisten beschließen.

Türkis-Blau erweckt den Eindruck: Die einen marschieren, die anderen regieren.

HUBERT FUCHS: Wir arbeiten, die anderen sitzen draußen im Park.

Bei den Entlastungen geht die Regierung ins Detail, bei der Gegenfinanzierung ist vieles vage. Warum schenken Sie nicht reinen Wein ein?

HUBERT FUCHS: Das tun wir. Wir haben eine ehrliche Steuerreform konzipiert, ohne neue Steuern und neue Schulden. Um diese zu realisieren, benötigen wir die ganze Gesetzgebungsperiode. Ab 2022 haben wir eine jährliche Entlastung von 8,3 Milliarden Euro sichergestellt. Wir erwarten uns für 2022 auch einen budgetären Überschuss von 1,8 Milliarden Euro, welchen wir neben anderen Maßnahmen zur Finanzierung der Steuerreform verwenden werden.

Gibt es keine Kürzungen?

HUBERT FUCHS: Es wird eine ein-prozentige Ausgabenkürzung beim Bund geben – von den obersten Organen bis quer über alle Ministerien im Ausmaß von rund einer Milliarde Euro. Man kann allen Organen zumuten, dass sie auf ihren Speck schauen. Wir planen auch Maßnahmen bei den Förderungen des Bundes, der Heranführung des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter, den ausgegliederten Einheiten. Es gibt auch Einnahmensteigerungen (Digital-, Tabaksteuer, Spitzensteuersatz).

Sie deuten an, dass was bei den Pensionen passiert. Was genau? Die Anhebung der Altersteilzeit?

HUBERT FUCHS: Was konkret geplant ist, ist Sache des Ressortministers.

Regiert nicht das Prinzip Hoffnung? Bei einer Rezession bricht alles wie ein Kartenhaus zusammen.

HUBERT FUCHS: Nein. Wir haben konservativ und vorsichtig gerechnet. 2018 waren wir um eine Milliarde besser als geplant. Wir sind übervorsichtige Kaufleute.

Früher hat die FPÖ gefordert, das Steuersystem so einfach zu gestalten, dass man keinen Steuerberater braucht. Davon ist keine Rede mehr.Schützen Sie Ihre alte Profession?

HUBERT FUCHS: Wir führen eine großzügige Betriebsausgabenpauschalierung für kleine Unternehmen bis 35.000 Euro Umsatz ein. Es gibt eine Erhöhung der Kleinunternehmergrenze. Durch die Maßnahme ersparen wir den Betrieben 400.000 Steuererklärungen. Das ist keine schlechte Ansage.

Sie arbeiten gegen Ihre alte Branche?

HUBERT FUCHS: Überhaupt nicht. Sie haben als Steuerberater keine Freude, wenn sie einem Klienten eine Rechnung von 2000 Euro schicken, wenn er sich nur 1000 Euro erspart hat, er aber von Gesetzes wegen verpflichtet ist, eine Steuererklärung einzureichen.

Experten klagen, dass der Faktor Arbeit immer noch zu hoch ist. Wie begegnen Sie der Kritik?

HUBERT FUCHS: Das würde nur gehen, wenn wir ein Scheichtum wären. Unsere Geldquellen sind nicht unerschöpflich. Wir haben uns dem Nulldefizit verschrieben und wollen keine Maßnahmen auf Pump finanzieren.

Ökologische Steuerungseffekte sind mit der Lupe zu suchen. Gibt es nicht Luft nach oben?

HUBERT FUCHS: Ich gebe Ihnen recht, der Klimawandel ist eine große Herausforderung, da müssen wir gar nicht herumreden. Es bedarf in jedem Fall weitergehender Anstrengungen. Wir können nicht alle Probleme durch eine Steuerreform lösen. Die Bundesregierung arbeitet an weiteren Maßnahmen.

Die FPÖ war immer für die Abschaffung der kalten Progression. Warum der Sinneswandel?

HUBERT FUCHS: Die Besserverdiener würden von einer sofortigen Abschaffung am meisten profitieren. Wir wollten zuerst eine Steuerreform, die das ganze System gerechter macht, bevor wir 2022 eine Lösung zur Abschaffung der kalten Progression präsentieren werden. Nur eine Bemerkung am Rande: Zwischen 2018 und 2022 beträgt die kalte Progression 7,5 Milliarden. Sämtliche Entlastungen, die wir beschlossen haben, betragen kumuliert 18,21 Milliarden. So gesehen haben wir eine Nettoentlastung von 10,7 Milliarden sichergestellt.