"Er kommt wegen mir eh nicht ins Gefängnis, oder?“ Sätze wie diesen habe ich als Familienrichterin oft von Frauen gehört, die nach einer Wegweisung eine einstweilige Verfügung gegen ihren Partner beantragten. Wer in einer heilen Familie lebt, kann sich kaum vorstellen, was in diesen Frauen vorgeht. Viele lieben ihren Partner trotz allem, haben Angst und werden unter Druck gesetzt. Andere plagen Existenzängste oder ein Loyalitätskonflikt, wenn der Partner der Vater der gemeinsamen Kinder ist.

Opfer sexueller Gewalt stehen meist unter Schock, haben Angst vor einer Anzeige und dem Gerichtsverfahren. Selbstverständlich ist es Aufgabe des Staates, Gewalt zu bestrafen; der Unwert einer Tat soll in der Strafhöhe zum Ausdruck kommen. Genau deswegen wurden bereits 2013 und 2015 Strafen erhöht, neue Straftatbestände geschaffen. Kinder und schutzbedürftige Personen standen dabei besonders im Fokus.

Immer härtere Strafen

Auch das Ungleichgewicht zwischen der Bestrafung von Vermögens- und Gewaltdelikten wurde damit beseitigt. Der Staat war also nicht untätig und Richter verhängen tendenziell immer härtere Strafen. Sie brauchen aber einen Spielraum, um eine gerechte Strafe zu finden. Die Welt ist nicht schwarz und weiß, auch das Unrecht kennt viele Zwischentöne.

Deshalb hat (auch) die Richtervereinigung höhere Mindeststrafen abgelehnt, die meisten anderen Maßnahmen jedoch befürwortet. Strengere Strafen geben uns das Gefühl, etwas getan zu haben. Das lässt uns ruhiger schlafen und das Thema für eine Weile verdrängen. Aber verhindern wir damit Leid und Gewalt? Leider nicht, das ist erwiesen. Das Problem ist viel zu komplex.
Als Richterinnen können wir den sensiblen Umgang mit Opfern weiter verbessern, denn viele erstatten aus Angst vor einem Verfahren keine Anzeige. Gleiches gilt für Polizei und Staatsanwälte. Opfer brauchen generell mehr Unterstützung, die Täter Hilfe und Therapie. Diese Maßnahmen müssen aber auch finanziert werden, es braucht zusätzliches Budget.

Wenn sich das Opfer aus Angst der Aussage entschlägt und es mangels sonstiger Beweise zum Freispruch kommt, ist das auch für Richter frustrierend. Höhere Strafrahmen helfen uns dabei nicht weiter. Wir alle dürfen bei Anzeichen von Gewalt nicht wegschauen, uns mit scheinbar einfachen Lösungen nicht zufriedengeben. Die meisten Täter leben unerkannt unter uns, kommen aus allen Gesellschaftsschichten. Deshalb müssen wir das Thema weiter diskutieren, in der Schule, im Betrieb, Verein, am Stammtisch, in der Familie. Nur dann kann sich wirklich etwas ändern.