"Die Arbeitnehmerseite wird systematisch aus den Institutionen der Republik gedrängt", sagte der Wiener AK-Direktor Christoph Klein am Mittwoch bei einem Hintergrundgespräch. Laut Klein entsteht dadurch eine "Schieflage" in der Republik, denn die Wirtschaft bekomme im Gegenzug sogar mehr Einfluss als bisher. "Das tut dem Land nicht gut." Ein Erfolgsrezept der Zweiten Republik werde so gefährdet.

Klein nannte konkret sieben Beispiele für das systematische Vorgehen der ÖVP-FPÖ-Regierung gegen die Arbeitnehmerinteressen. "Das bekannteste ist die Entmachtung in der eigenen Sozialversicherung und eigenen Krankenversicherung." An der von der Bundesregierung am Mittwoch im Ministerrat beschlossenen Reform, die unter anderem eine Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger und eine Reduzierung der Funktionäre vorsieht, ließ Klein kein gutes Haar. "Sieben Millionen Versicherte werden unter Kuratel von 155.000 Dienstgebern gestellt."

"Besonders empörend" findet Klein, dass bei der Beamtenversicherung die Dienstnehmer weiter im Verhältnis 70:30 das Sagen haben, während der Einfluss der Arbeitnehmer bei den Krankenkassen und der Pensionsversicherung reduziert wird und es künftig 50:50-Parität mit den Dienstgebern geben soll. Klein vermutet dahinter parteipolitische Gründe seitens der türkis-blauen Regierung. Sauer stößt dem AK-Direktor auch das Vorhaben auf, dass in der Übergangsphase der Fusionierung ab 2019 für eineinhalb Jahre die Dienstgeber die Führung übernehmen sollen.

"Selbstbehalte drohen"

Bei der Arbeiterkammer geht zudem die Sorge um, dass es auf absehbare Zeit zur breiten Einführung von Selbstbehalten beim normalen Arztbesuch kommt. Darauf deute ein eigener Selbstbehalteparagraf im Gesetzespaket der Regierung. Für die Festlegung von Selbstbehalten ist künftig nämlich der Dachverband zuständig, in dem jene vier Sozialversicherungsträger, in denen es jetzt schon Selbstbehalte gibt, gegen die Stimmen der Krankenkassenvertreter auch dort Selbstbehalte einführen könnten. "Die Versicherten können überstimmt werden", befürchtet Klein.

Tests nur für SV-Funktionäre?

Auch die geforderten Ausbildungstests für Sozialversicherungsfunktionäre sieht man kritisch. Es sei seltsam, dass es solche Vorgaben für gewählte Funktionäre in der Selbstverwaltung geben soll, aber nicht in der staatlichen Verwaltung. Warum nicht auch für Minister, Abgeordnete oder Bürgermeister, fragte Klein, der von einer verfassungsrechtlich bedenklichen Disziplinierungsaktion sprach. Der Wiener AK-Direktor geht jedenfalls davon aus, dass sich die Arbeiterkammer an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wenden wird und etliche Punkte der Sozialversicherungsreform nicht halten werden.

Arbeitnehmer ausgebootet

Die Sozialversicherungen seien aber nur ein Bereich, in dem die Regierung Arbeitnehmerrechte beschneide. Klein führte als weitere Beispiele den Insolvenzentgeltsicherungsfonds, den Generalrat der Nationalbank oder die Schienen-Control GmbH und deren Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte an, wo Arbeitnehmer unter Türkis-Blau aus den Gremien geflogen sind. Dort hätten nun nur mehr Regierung und Wirtschaft bzw. Industrie das Sagen.

Geldpolitik oder Interessen der Konsumenten bei der Bankenaufsicht würden damit ohne die Perspektive der Beschäftigten und Konsumenten erfolgen. Auch die von der Bundesregierung ins Leben gerufene Digitalisierungsagentur werde in ihrem Fachbeirat keinen einzigen Arbeitnehmervertreter haben, berichtete Klein. Dies sei umso befremdlicher, als die Digitalisierung den Arbeitsmarkt tiefgreifend verändern wird.

"Einäugig gegen Sozialbetrug"

Im Kampf gegen Sozialbetrug gehe die Regierung zudem einäugig vor. Das Innenministerium richte zwar eine eigene Polizei-Spezialeinheit gegen Sozialleistungsbetrug durch Arbeitnehmer ein, gegen betrügerische Arbeitgeber geschehe aber zu wenig. Den für Tirol kolportierten Schaden durch Sozialleistungsbetrug in Höhe von einer Million Euro jährlich, stellte Klein etwa den jährlichen Schaden durch Scheinfirmen und Scheinrechnungen im Baugewerbe von einer halben Milliarde gegenüber, von der man 250 Millionen Euro lukrieren könnte. Eine Stärkung der dafür zuständigen Finanzpolizei wäre viel wichtiger als eine neue Spezialeinheit. Ein Schieflage erzeuge weiters der Regierungsplan einen "wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort" als Staatsziel in der Verfassung zu verankern, wenn nicht zugleich auch soziale und Arbeitnehmerrechte berücksichtigt werden.

Deutlich, aber "ohne Zorn und Eifer"

Laut Klein ist es legitim, wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Sozialpartnerschaft nicht als "Nebenregierung" haben will. Es wäre aber gut, wenn die Sozialpartner im Vorfeld zumindest einbezogen würden. Die Folgen des Regierungshandelns gegen die Arbeitnehmer will die AK verstärkt sichtbar machen. Als "Kampforganisation" sieht man sich aber nicht. Er sei darum bemüht, das Haus als Expertenorganisation und Interessensvertretung der Arbeitnehmer zu positionieren und mit der Regierung sachlich - "ohne Zorn und Eifer" - umzugehen. "Wir haben aber derzeit eine Situation, wo man auch einmal deutlich werden muss."