Österreich-Premiere ist am 2. Oktober im Wiener Stadtsaal. Zuvor spielt der 62-Jährige in dieser Woche fünf Vorpremieren - traditionsgemäß im "Heiligen Land" Tirol, konkret im Innsbrucker Treibhaus. Im Umfeld ebendieser "Vorspiele" gab der Noch-Nicht-Altmeister der gepflegten Kleinkunst-Unterhaltung der APA, entspannt und reflektierend zugleich, ein Interview: Über Vorpremieren-Parallelen zu Ski-Trainingsläufen, Österreich als Versuchs-Anleitung für weltgeschichtliche Entwicklungen, Jörg Haider als "Role Model", Alters-Gedanken, Filmpläne und über Sahra Wagenknecht und eine linke Sammelbewegung, die er auch in Österreich für verwirklichbar hält.

Herr Vitasek, kann man diese Vorpremieren ein bisschen mit Trainingsläufen im Skifahren vergleichen? Man testet die schnellste Linie aus?

Andreas Vitasek: Guter Vergleich. Es ist sehr ähnlich. Man schaut sich die Torkombinationen an, schaut, wo man bremsen und Gas geben kann. Ein Programm ist ein bisschen wie eine Piste, weil es auch sehr viel - wie ein Slalom - mit Rhythmus zu tun hat. Manchmal muss man auch etwas komplett rausschneiden, wenn man merkt, eine Idee ist zwar gut, aber nimmt mir die Fahrt weg oder bremst die ganze Nummer. Schwierig ist zu erkennen, ob die Leute an gewissen Stellen gelangweilt oder konzentriert sind.

Worin besteht eigentlich die Austrophobie und wie äußert sie sich heute?

Vitasek: "Austrophobia" als Titel für ein mögliches Kabarettprogramm ist mir bereits im Jahr 2013 eingefallen. Insofern ist es nicht ein Reflex auf die momentane politische Situation, passt aber gar nicht schlecht. Es geht um dieses ambivalente Verhältnis, dieses Gefühl, das ich bei mir spüre und auch beim Österreicher, in dem Sinne: Man mag sich ein bissel selber nicht als Österreicher, dieser leichte Minderwertigkeitskomplex. In einer Passage des Programms kommt zum Beispiel Falco vor, der, als er Nummer eins in den US-Charts wurde, reagiert hat mit den Worten: 'Jetzt ist es aus, das schaff ich nimma'. Das ist so typisch österreichisch, im größten Triumph so etwas zu sagen. Meiner Meinung nach hat diese Einstellung mit unserer jüngeren, nicht wirklich aufgearbeiteten Vergangenheit zu tun - Stichwort der Schmäh mit dem ersten Opfer des Nationalsozialismus. Und auch mit der älteren, als wir noch ein ernst zu nehmendes Staatengebilde, eine Monarchie waren. So typisch österreichisch ist auch dieses Hinaus-Schleichen aus der Verantwortung, dieses 'Nicht zu dem Stehen', wie wir's ja jetzt wieder in der Politik sehen. Es wird vorgeprescht mit etwas und dann zurückgezogen mit dem Argument, es eh nicht so gemeint zu haben. Aber die Grenzen werden dabei weiter verschoben. Man stumpft ab, es gehört dann zur Tagesordnung, wie Medien behandelt werden zum Beispiel.

Ist Österreich hier eine Ausnahme oder werden internationale Entwicklungen nachvollzogen?

Vitasek: Wir sind natürlich auch nur ein Mikrokosmos vom Großen. Andererseits sind wir auch eine Art Labor-Anordnung. Labor-Ratten, an denen man ausprobiert, ob's funktioniert. Man kann es auch durchaus so sehen, dass Jörg Haider ein Role Model für all das war, was nach ihm kam, auch für viele Protagonisten der aktuellen Regierung. Nicht nur vom Äußeren her. Das gilt auch für die europäischen Rechtspopulisten. Man hat das Gefühl, die sind alle aus derselben Fabrik, derselben Manufaktur. Die Modelle, die Klone.

Sie haben im Vorfeld gemeint, "Austrophobia" sei politischer als die vorherigen Programme. Man hat das Gefühl, es ist aber doch in erster Linie eine Beschreibung von Mentalitäts-Eigenheiten der Österreicher aus der privaten Perspektive, mit politischen Einsprengseln.

Vitasek: Richtig. Es ist einerseits politischer, weil der Anteil der Politik in meinen Programmen dem Anteil von Politik in meinem privaten Leben und Gesprächen entspricht. Und der ist momentan einfach größer. Auch in Gesprächen mit meiner Frau, bei denen wir übrigens nicht immer einer Meinung waren und sind. Etwa, als es um die Flüchtlingsbewegung 2015 ging. Sie aufseiten der Willkommenkultur, ich als derjenige, der der Meinung war, man müsse aufpassen und könne nicht alle ins Land lassen. "Austrophobia" ist aber andererseits keine reine politische Abhandlung. Das könnte ich gar nicht und würde ich auch nicht wollen. Ich bin kein politischer Kabarettist. Daher immer wieder der Versuch der Betrachtung aus der Sicht der heilen Kleinfamilie mit Tochter, Frau und Hund. Trotzdem schimmert immer wieder das Große mit hinein.

Viele Künstler und Intellektuelle links der Mitte orten mit der türkis-blauen Bundesregierung eine Rückkehr des Nationalismus, des Reaktionären, die Gefahr der Einschränkung von Freiheiten einer liberalen Demokratie. Teilen Sie diesen Befund?

Vitasek: Wenn man über die Grenze nach Ungarn oder Tschechien schaut, sieht man, wohin das führen kann. Bei uns ist es noch nicht soweit. Aber es ist die Aufgabe von Künstlern, zu warnen. Österreich ist ein schönes Land, aber man muss auch daran arbeiten, dass es so bleibt. Es gibt Anzeichen, dass die Presse- und Meinungsfreiheit in Gefahr ist. Was mich an der Causa rund um Innenminister Kickl auch so stört, ist dieses vorhin schon erwähnte 'Nicht dazu-stehen'. Jetzt schiebt man es dem Ministeriumssprecher zu. Ich habe das Gefühl: Man geht immer zwei Schritte vor, wartet bis sich alle empören, um dann wieder ein bisschen zurück zu weichen. Damit schafft man sich aber immer mehr Raum. Oder die Sache mit dem Wolfgang Ambros, wo sofort mit regulierten, organisierten Shitstorms und bezahlten Hasspostern reagiert wird. Ich habe insgesamt nicht das Gefühl, dass wir in einer besonders glücklichen Zeit leben, dass die Leute sehr zufrieden sind. Man kann auch sagen, es ist nicht schlecht, wenn die Konfrontationen zunehmen. Ich selber fürchte mich nicht davor. Aber es geht um die nächsten Generationen. Ich möchte nicht, dass meine Töchter in einem Klima der Unfreiheit aufwachsen.

Glauben Sie, dass Türkis-Blau nicht nur auf eine Legislaturperiode angelegt ist, sondern eine Ära begründen kann?

Vitasek: Angesichts des Zustandes der Opposition, ist es ziemlich offensichtlich, dass die zwei Legislaturperioden durcharbeiten werden. Es liegt eindeutig an der Schwäche der Opposition.

Erschreckt Sie der Zustand der SPÖ?

Vitasek: Auch hier sind wir ja nur ein Mikrokosmos. Das ist eine Entwicklung, die schon lange von statten geht. Es geht um die Schwäche der Sozialdemokratie allgemein, in ganz Europa. Das hat damit zu tun, dass sich der Begriff des Arbeiters verändert hat. Insofern ist das ja keine Arbeiterbewegung mehr. Angefangen hat der Verlust der Identifikation der Sozialdemokraten damit, dass an der Spitze nicht mehr der Typus Arbeiterführer stand, sondern immer mehr Manager. Gut, ein Arbeiterführer war Franz Vranitzky auch nicht. Aber der war eine Persönlichkeit. Das hätte man auch nicht gedacht, dass man vom Vranitzky einmal als dem letzten charismatischen SPÖ-Chef spricht.

Pamela Rendi-Wagner wäre keine solch charismatische Person?

Vitasek: Man sollte ihr eine Chance geben. Es gäbe ja auch genug Möglichkeiten sich zu profilieren. Eine linke Sammelbewegung hätte derzeit eine Chance. Das sieht man ja auch in Deutschland bei Sahra Wagenknecht. Das ist eine politisch profilierte Person. Sie steht für etwas. Das fehlt bei uns noch. Allein aus demokratischen Gründen hätte ich Sympathie dafür. Links von der Mitte ist bei uns im Moment alles frei. Ein braches Feld, das nur von charismatischen Typen besät und beackert werden müsste. Aber diese Typen fehlen. Schade, dass man den Kreisky nicht klonen kann (lacht).

Sehr präsent scheint im Programm eine gewisse Altersphobie zu sein. Hat Andreas Vitasek Angst vorm Alter?

Vitasek: Ich bin jetzt 62 Jahre alt und würde lügen, wenn das spurlos an einem vorbei geht. Das Alter macht mir nicht zu schaffen, aber man erlebt, dass im Freundes- und Bekanntenkreis immer mehr Menschen wegsterben oder krank werden. Das beschäftigt einen schon, besonders, da man ja Familie hat. Es geht weniger um mich. Ich habe das Gefühl, ein erfülltes Leben gelebt zu haben. Es fehlt mir eigentlich nichts mehr in meinem Lebensbuch.

Wird es irgendwann einmal den Pensionisten Vitasek geben bzw. könnte man irgendwann zum Schluss kommen: "Aufhören, wenn's am schönsten ist"?

Vitasek: Solange es körperlich geht und das Publikum meine Programme sehen will, wahrscheinlich nicht. Da hätte auch meine Frau etwas dagegen. Ich würde ihr auf die Nerven gehen. Und von "Aufhören wenn's am schönsten ist" halte ich nicht viel, denn: Es kann ja immer noch schöner werden.

Stehen neue Filmpläne auf der "To Do-Liste"?

Vitasek: Arte hat angefragt wegen eines dritten Teils der "Kebab"-Reihe. Das hatte dort einen großen Erfolg bzw. eine gute Quote. Da würde ich zur Verfügung stehen. Schön wäre auch eine Neuauflage von "Brüder" mit Wolfgang Böck und Erwin Steinhauer. Da gibt es Vorgespräche und Grundideen für einen vierten Teil, aber noch nichts Konkretes.

"Austrophobia" im Wiener Stadtsaal. Premiere: 3. Oktober, 20 Uhr. Weitere Termine: 3.- 4., 9.-10., 11., 15.-17., 23.-25., 30 und 31. Oktober, 01., 6.-8., 13.-15. November, jeweils um 20 Uhr. http://stadtsaal.com