ÖVP-Klubobmann August Wöginger fordert in seiner Funktion als ÖAAB-Obmann die volle Anrechnung der Karenzzeiten in allen Berufen und Kollektivverträgen. Wenn jemand bis zu 24 Monate Karenz nimmt, soll sie oder er künftig in dieser Zeit alle Gehaltsvorrückungen sowie die entsprechenden Urlaubsansprüche, Kündigungsfristen, Entgeltfortzahlungen und Krankenstandsansprüche angerechnet bekommen. Nur, wenn Verhandlungen auf KV-Ebene das nicht flächendeckend durchsetzen, soll eine gesetzliche Regelung kommen, so Wöginger im "Morgenjournal".

"Kein Nachteil für Familien"

"Niemand soll einen Nachteil haben, wenn er das Recht auf Karenz wahrnimmt und sich für Familie und Kinder entscheidet", sagte Wöginger der APA. Karenz soll demnach wie Arbeitszeit bewertet werden. Laut Wöginger ist dies erst in rund 30 Prozent der großen Kollektivverträge der Fall. Derzeit gibt es 859 unterschiedliche Kollektivverträge, in 145 davon findet sich eine Regelung zur automatischen Anrechnung der Karenzzeiten.

Bei der Bemessung der Kündigungsfrist, für die Dauer der Entgeltfortzahlung, im Krankenstand oder für das Urlaubsausmaß werden bisher höchstens 10 Monate der ersten Karenz im Arbeitsverhältnis angerechnet. Wöginger fordert, dass Karenzzeiten künftig bis zu 24 Monate berücksichtigt werden. Der ÖAAB-Chef appelliert an die Sozialpartner, bei den kommenden Kollektivvertragverhandlungen in allen Branchen die volle Anrechnung umzusetzen. Karenzbezieher bekämen so alle Gehaltsvorrückungen abgegolten und damit mehr Geld. Denn selbst Urlaub, Krankenstand oder Bundesheerzeiten würden bei Gehaltssprüngen angerechnet.

Sollte die Anrechnung der Karenzzeiten über die Kollektivvertragsverhandlungen nicht funktionieren, dann will der ÖVP-Klubobmann eine gesetzliche Neuregelung. Den entsprechenden Gesetzesbeschluss müsste man aber erst mit dem Koalitionspartner FPÖ abstimmen. "Das ist ein weiterer Schritt, die Benachteiligung von Frauen, die zumeist in Karenz gehen, zu verringern, und ist wichtig, um die Gehaltsschere zwischen Frauen und Männern zu verkleinern", erklärte Wöginger. Von Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) gebe es volle Unterstützung für das Vorhaben.

Dass die ÖVP, der von den Oppositionsparteien soziale Kälte vorgeworfen wird, mit dem Vorhaben ihr soziales Profil schärfen möchte, wies Wöginger zurück. Er habe die Benachteiligung von Frauen in diesem Bereich und die unterschiedlichen Regelungen seit langem kritisiert, und die ÖVP sei schon immer für soziale Gerechtigkeit eingetreten. "Aus unserer Sicht ist dieser Schritt notwendig."

Wirtschaftsbund auf der Bremse

Der ÖVP-Wirtschaftsbund, quasi Wirtschaftsflügel der Volkspartei, bremst unterdessen. Der Wirtschaftsbund betonte, dass es bereits Regelungen im Gesetz gebe und die Festlegung von Gehaltsregelungen Sache der Sozialpartner sei. Für eine gesetzliche Regelung der Anrechnung der Karenzzeiten bestehe deshalb keine Notwendigkeit.

"Die Anrechnung von Karenzzeiten bei Gehaltsvorrückungen soll wie bisher Kernkompetenz der Sozialpartner bleiben", erklärte Wirtschaftsbund-Generalsekretär Rene Tritscher am Mittwoch in einer Aussendung. Einige Kollektivverträge wie jener für Angestellte in der Metallbranche oder der für die Handelsangestellten würden bereits Möglichkeiten einer Anrechnung von Karenzzeiten bei Gehaltsvorrückungen vorsehen.

"Eine Notwendigkeit, diese Kernkompetenz der Sozialpartner auf eine gesetzliche Ebene zu heben, sehen wir nicht", so Tritscher. "Denn zum einen wurde im Regierungsprogramm klar festgehalten, dass dies Aufgabe der Sozialpartner ist und zum anderen greift man damit massiv in ein Kerngebiet der Kollektivvertragsparteien ein." In ein solches Kerngebiet der Sozialpartner, nämlich die Arbeitszeitregeln, hat die Regierung zuletzt mit der Einführung der Möglichkeit des 12-Stunden-Tags allerdings bereits eingegriffen.

Die Wirtschaftskammer erklärte zur aktuellen Debatte über die Anrechnung von Karenzzeiten, dass Mütter und Väter in Österreich arbeitsrechtlich gut abgesichert seien. In einzelnen Kollektivverträgen gebe es bereits großzügige Anrechnungen. Grundsätzlich würden Gehaltsvorrückungen aber eine Abgeltung betrieblicher Erfahrung bedeuten. Die Anrechnung von Karenzzeiten würde den Faktor Arbeit verteuern, so Rolf Gleißner, Experte der Wirtschaftskammer. Die Wirtschaft sei offen für Gespräche, man lehne aber einseitige Schritte zulasten der Betriebe ab.