PRO: Der Kulturwandel, den die Digitalisierung auslöst, muss sich auch auf die Schule auswirken. Es ist ein System zu etablieren, das hilft, diesen zukünftigen Alltag zu verstehen und zu gestalten. Die Geräte sind sekundär.

Es geht gar nicht um die Frage: Tablets ja oder nein? Es ist aus meiner Sicht sogar unsinnig, die zunehmende Digitalisierung anhand dieser Frage zu beantworten. Die Digitalisierung löst einen Kulturwandel aus, der in der Menschheitsgeschichte mit wenig anderen Dingen vergleichbar ist – vielleicht mit der Erfindung des Rads oder des Buchdrucks.

Als zum Beispiel das Auto erfunden wurde, war wohl auch nicht im Vordergrund eine Lösung für ein Problem, das alle hatten. Im Gegenteil wusste niemand so recht, warum man auf Pferdekutschen und Dampflokomotiven verzichten sollte. Das Automobil hat unseren Alltag dann aber massiv verändert, wenn man nur an Verkehrsregeln, Autobahnmaut, Parkplatznot in Städten denkt und die Tatsache, dass viele täglich Hunderte von Kilometern im Auto sitzen, um ihre Arbeit zu erledigen. Ich bin mir sicher, es hat zu Beginn auch kaum jemand überschaut, welche Auswirkungen das Automobil hat.

Genauso ist es mit der Digitalisierung. Diese erscheint mir nur noch komplexer, denn sie hat heute bereits Einfluss auf alle erdenklichen Lebenslagen – ist doch auch unsere Kaffeemaschine programmiert oder die Bankomatkarte mit RFID-Chips ausgestattet. Digitalisierung verändert Arbeitsweisen und Prozesse gänzlich und damit letztendlich auch die Art wie, wo und wann wir lernen.

Und genau dort gilt es anzusetzen, wenn wir über Schulen sprechen. Es ist ein System zu etablieren, das hilft, diesen zukünftigen Alltag zu verstehen, kompetent zu gestalten, zu reflektieren und für sich zu nutzen. Das primäre Ziel der Schule oder auch der anderen Bildungssektoren muss also sein, digital mündige Bürgerinnen und Bürger zu erziehen.

Wenn dies im Mittelpunkt der Betrachtung steht, braucht es entsprechende Lehrpläne und Lernkonzepte, ausgebildete Lehrkräfte, entsprechende offen zugängliche Lehrmaterialien, eine Stärkung der Kreativität und Innovationskraft sowie den Mut, sich mit digitalen Technologien auseinanderzusetzen. Natürlich geht es auch um Ausstattungen, Ressourcen und eine funktionierende Infrastruktur. Ob aber in den Schulen Tablets, Smartphones, Virtual-Reality-Brillen, Roboter oder programmierbare Stickmaschinen genutzt werden sollen, ist sekundär – es geht darum, dass wir die Generation von morgen auf ihre Zukunft vorbereiten. Das wäre für mich der Auftrag der Bildung. Wenn wir das im Fokus halten, ergeben sich zwangsläufig Teilfragen, für die man aber dann Lösungen finden wird.

AUTOR: Martin Ebner ist habilitierter Bildungsinformatiker und leitet die Abteilung Lehr- und Lerntechnologien an der Technischen Universität Graz, wo er für sämtliche E-Learning-Belange zuständig ist

CONTRA: Die flächendeckende Ausstattung mit Tablets wäre eine Fehlinvestition. Man geht irrtümlich davon aus, dass sich durch Technisierung des Unterrichts die Lernergebnisse verbessern lassen. Das Gegenteil stimmt.

Das Problem ist, dass diese digitale Initiative bisher nur eine Ankündigung ohne konkretes Programm ist. Konkret ist nur, dass man alle Schüler mit Tablets ausstatten will, und das wäre ganz sicher hinausgeworfenes Geld. Außerdem müsste man fortlaufend viel Geld in die Erneuerung dieser Technologie stecken, das besser in differenzierten Unterricht gesteckt werden sollte.

Natürlich muss die Schule vermehrt auf die Tatsache reagieren, dass die Kinder von klein auf in virtuellen Welten unterwegs sind. Schule muss ihnen helfen, diese Welt zu sortieren. Die Beschäftigung mit der Digitalisierung der Welt bedeutet aber sicher nicht, dass es sinnvoll ist, den Unterricht zu digitalisieren. Ganz im Gegenteil. Was Schule besser macht als Individualunterricht oder Computerkurse, ist, gemeinsam mit anderen Sinn zu erzeugen. Das führt zu schnelleren, stabileren Lernprozessen als alles andere, was wir sonst kennen.

Je stärker ich Unterricht individualisiere oder digitalisiere, desto mehr wächst der soziale Abstand. Diejenigen, die außerhalb der Schule entsprechende signifikante Mitlehrer haben, die sich also beim Mittagstisch besprechen können, stehen dann viel besser da als die, die das nicht haben. Das zeigt auch die Forschung in Ländern, die damit schon länger experimentieren: Massive Digitalisierung von Unterricht führt nicht zu besseren Lernergebnissen und vergrößert die sozialen Abstände in den Lernergebnissen.

Die digitale Industrie will uns klarmachen, dass Lernen digital sein muss, weil diese Leute dann auch die Tests verkaufen. Am liebsten würden sie eine geschlossene Produktionsschleife herstellen, in der sie alleine kontrollieren können, was gilt. Microsoft, Bertelsmann und andere werfen viel Geld in solche Strategien, um diesen Milliardenmarkt zu erschließen.
In der Schule geht es aber nicht primär darum, Wissen anzuhäufen. Sie ist primär ein Ort – schon für Aristoteles –, wo man Gemeinschaftsfähigkeit erwirbt, also die Fähigkeit, sich mit anderen über Sachen zu verständigen. Das stabilisiert Lernen, ermöglicht soziales Zusammensein und Entwicklung. Deswegen ist es kein Zufall, dass sich in allen Studien der gute alte Unterricht gegenüber Technologiestürmen bewährt hat. Man versucht ja nicht das erste Mal, durch Technologie Unterricht zu optimieren. Seit der Erfindung der Buchdruckkunst löst jede neue Technologie die Fantasie aus, man könnte durch optimierte Materialien Lernen optimieren. Dann muss man jedes Mal entsetzt feststellen, dass das Material nicht der Kern der Sache ist.

Stefan Hopmann studierte in Gießen. Nach Stationen in Kiel, Flensburg, Potsdam und Oslo wurde Hopmann 2005 Professor für Bildungswissenschaften an der Universität Wien