Und wieder die e-mails. Heute beginnt Grasser mit einer Klärung zu den e-mail-Adressen. Er habe seine Assistentinnen von damals angerufen um sie zu dem Thema zu befragen. "Ich darf Ihnen berichten, dass sich keine der drei Damen erinnern kann, dass es neben der offiziellen Adresse eine private gegeben hätte." Was Grasser nicht dazusagte: Es ging der Richterin um private Adressen, nicht um offizielle. Grasser hatte nämlich behauptet, ein interessantes Angebot des Bankers Thilo Berlin für ihn sei deshalb an Walter Meischberger gemailt worden, weil er keine eigene private Mailadresse gehabt habe. Was die Richterin im Lauf des Verfahrens daraus schließen will, ließ Sie zu Beginn noch nicht durchblicken.

Im Jahr 2000 habe es auch kein e-mail-System gegeben, sondern ein internes Kommunikationssystem, erzählt Grasser. Er sei eher ein später Anwender von Technologie, Mails am Handy annehmen und senden könne er erst seit etwa zwei Jahren. "Wenn es diese Mailadressen doch  gegeben hat, sind sie im BMF eingerichtet worden", relativiert er dann. "Kann sich eine der Damen daran erinnern?" fragt die Richterin. "Eine der drei Damen kann sich erinnern." 

"Angebote habe ich nie gesehen"

Grasser und die Richterin diskutieren den Grad der Öffentlichkeit des Buwog-Verkaufs. Grasser bestreitet mangelnde Transparenz. Gegenüber dem Parlament habe es Informationen gegeben. „Ein guter Teil dieses Verkaufsprozesses wurde transparent und auch in der Öffentlichkeit abgehandelt“. Vertraulich seien lediglich die Kernpunkte behandelt worden, sagt Grasser.

„Angebote habe ich nie gesehen“, sagt Grasser zu einem ihm vorgelegten Dokument. Eine wichtige Aussage, weil Grasser damit ausschließt, er hätte diese Information irgendjemandem weitergeben können.

"Immofinanz 450 geplant", steht in einer handschriftlichen Aktennotiz, die Richterin Marion Hohenecker auf die Wand projiziert. Sie stammt vom Kabinettschef Grassers, Heinrich Traumüller. Er sei schockiert gewesen über die niedrige Summe, sagt Grasser. Hohenecker hält Grasser die Aussage Meischbergers entgegen, Grasser habe eine Milliarde erwartet, was Immofinanz-Chef Petrikovics achselzuckend zur Kenntnis genommen habe. "Der Minister kann sich viel wünschen", soll Petrikovics dazu gesagt haben. Grasser argumentiert politisch - man wäre wohl über ihn hergefallen, wäre der Preis zu niedrig gewesen, dann hätte man seitens des Ministeriums eine Verbriefung in Erwägung gezogen.

Handschriften und ein großer Briefkopf

Schwer lesbare Notizen von Heinz Traumüller, Grassers damaliger Kabinettschef, legt Richterin Marion Hohenecker nun vor. "CA-Immo ausschließen", steht da rätselhaft und konkrete Beträge, wie viel wer geboten hat. "Immofinanz Frist versäumt", in einer anderen. "Dazu habe ich keine Wahrnehmung", sagt Grasser wie so oft.

"Wenn Sie sagen, dass es mit einem Termin korreliert", sagt Grasser, als ihm die Richterin detaillierte Aufstellungen eines Gebots vorlegt, das ihm offenbar präsentiert worden war. Grasser kann sich nicht erinnern, schließt aber auch nichts aus. "HBM über indikative Angebote" schreibt Traumüller am 18. 12. 2003. Dann präsentiert die Richterin wieder ein Schreiben Grassers an einen Sektionschef. Auffallend der Briefkopf: groß KARL-HEINZ GRASSER, klein darunter "Finanzministerium"

701 bis 865 Millionen Euro lautet ein Angebot, das die Richterin projiziert. Dann ein Termin gleich danach mit Walter Meischberger. "Keine Wahrnehmung dazu". Noch ein Buwog-Privatisierungstermin. "Das muss ein kleinerer Kreis gewesen sein, aber keine konkrete Wahrnehmung". Grasser weist darauf hin, dass er für große politische Vorhaben weit mehr Zeit investiert hat, konkret eine Steuerreform. Vier Stunden.

Und wieder der Terminkalender

Ein Termin Hochegger, Jandl, Meischi interessiert die Richterin. "Da könnte es um die Homepage gegangen sein, die Sie schon angesprochen haben". Damals sei es hoch hergegangen, "daher könnte es sein, dass das ein entsprechender Termin war. Die Richterin zitiert einen Artikel aus der Kleinen Zeitung, wo Kärntens Vizelandeshauptman Pfeifenberger die ESG-Wohnungen mit 50 Millionen einschätzt. "Lokalkolorit vor Landtagswahlen", sagt Grasser.

"HBM: Viele Show-Elemente im Prozess klären", krakelt der Kabinettchef. Lehman Bros. schlagen vor, sollte das finale Angebot unter einer Milliarde bliebe, sollte man eine Verbriefung in Erwägung ziehen, geht aus den Aufzeichnungen von Traumüller hervor. Grasser sagt, er sei von einer Grenze von 700.000 Euro gesehen.

Die Richterin ist im Mai 2004 angelangt, ein Papier von Lehman Bros. "Wenn es einen Termin dazu gibt, gibt eine Wahrscheinlichkeit, dass ich das gesehen haben könnte." Grasser weist darauf hin, dass die gezeigten Texte mit seiner Darstellung übereinstimmen: Er habe keine Rolle in dem Prozess gespielt, nur die Kommission und der Ministerrat.

Nach einer weiteren Durchforstung des Terminkalenders mit manchem Meischi-Termin 20 Minuten Pause, also bis 11.30 Uhr.

"Dazu fehlt mir jede Wahrnehmung"

Nach der Pause wieder Termine: "Dazu fehlt mir jede Wahrnehmung, Frau Rat" sagt Grasser zum wiederholten Mal. Jetzt sind wir beim 4. Juni 2004, am Tag, an dem das erste Bieterverfahren endete. Die Richterin zeigt wieder Notizen von Traumüller, diesmal vom Tag der Öffnung der Angebote. Das Angebot des Österreich-Konsortiums, das am Ende, eine Woche später den Zuschlag erhielt, liegt weit unter dem Endgebot.

"Am 4. Juni wurden die Angebote notiert", stellt die Richterin nüchtern fest, während Sie durch schwer lesbare Mitschreiften Traumüllers scrollt. "Über Wochenende genau prüfen", kritzelt Traumüller. "HBM 4.6. weitere Verhandlungsrunde?" schreibt Tfraumüller. "Für mich war klar, dass damals nicht an eine weitere Bieterrunde gedacht war", sagt Grasser, er habe sich mit diesem Notizblatt intensiver befasst. Der Grund, Traumüller notiert auch, Kärnten müsse informiert werden, was nur Sinn hat, wenn es kein weiteres Gebot gibt, schließt Grasser

Jetzt geht es um das Entscheidende, wie kam es zum neuen Abgabetermin 13. 6. und was wusste Grasser wann? Die Richterin zeigt eine Notiz vom 7.4. "CA-Immo 960 Mio. Fin.Zusage " schreibt Traumüller. Der Verteidiger unterbricht, will die Anklageschrift korrigieren. Die Anklage habe behauptet, dass Grasser die 960 Millionen bereits am 4.6. kommuniziert worden seien. Aus dem Dokument gehe hervor, dass erst am 7.6. kommuniziert worden sei.

Die Richterin verweist darauf, dass solche Korrekturen nicht vorgesehen sind. "Sie haben Ihre Ausführungen in ihrer 615 Seiten langen Gegenaussage richtiggestellt." "Was in der Strafprozessordnung nicht verboten ist, ist erlaubt", doziert der Verteidiger, gibt aber nach: "Ich werde mich bemühen, die Verhandlung nicht mehr zu unterbrechen." Nun wendet sich Grasser an die Richterin und bestätigt den Einwand. Nicht am 4. Juni habe er des erfahren, erst am 7.6.

Die entscheidenden Tage und Stunden

"Upside only rebidding" kritzelte Traumüller am 7.6. Das heisse, dass die Kommission einen neuen Termin vorgeschlagen habe, aber mit klarer Terminierung, weil im schlimmsten Fall, dass ein niedrigeres Angebot hereinkommt, sichergestellt werden müsse, dass das Höchstgebot der CA-Immo noch immer gelte. Die 922,7 Millionen sollten eingefroren werden, für den Fall, dass es unterschritten würde, sagt Grasser.

"HBM: Zeitfenster 13.6. nützen" schreibt Traumüller gut leserlich. Grasser erklärt das als Gelegenheit, die Erträge zu verbessern. "So war es dann am Ende des Tages auch." Detlev Neudeck wird genannt, ein BZÖ-Abgeordneter, der sei dabeigewesen, da das Parlament ja zustimmen musste, sagt Grasser. Abschließend sagt Grasser, "alle Experten haben empfpohlen, ein last and final offer einzuholen. Wir haben als politisch Verantwortliche das zur Kenntnis genommen, was die Experten empfohlen haben."

Wieder sagt Grasser, dass die 960 Millionen, die Traumüller für die CA-Immo notiert hatte, die Gesamtkosten  gewesen seien für das erste Angebot von 922 Millionen. Das Angebot von 960,1, das eine Woche später von der CA-Immo gelegt worden sei, hätte insgesamt mit allen Nebenkosten über eine Milliarde ausgemacht. Das Wort Gesamtinvestitionsvolumen von 960 Millionen ist auch in einem schriftlichen Dokument enthalten, das die Richterin projiziert.

Warum ein neuer Termin für die Bieter?

Man habe Unklarheiten in den Angeboten geortet, daher eine zweite Rune gemacht. Außerdem sei es risikolos gewesen, weil ja das Höchstgebot der letzten Runde garantiert war, argumentiert Grasser. "Es hat sich auch gezeigt, dass das richtig war." Wieder relativiert Grasser seine Rolle, er habe nur Fragen gestellt. Ihn habe nur interessiert, ob die Experten garantieren könnten, dass nicht weniger herauskommt als bei der ersten Runde. "Warum war es notwendig?" fragt die Richterin noch einmal. Grasser: "Weil es die Experten gesagt haben. Das sind die Experten, die haben sich so entschieden, dann machen wir das so", schildert Grasser den Vorgang.

Am 11. sind die ersten zwei Gebote eingelangt, die Richterin präsentiert die Bewertung durch die Kommission. "Die CA-Immo hat ihr Angebot offensichtlich falsch abgegeben", liest Grasser aus dem Text, der auf einen Formalfehler hinweist und den Bieter auffordert, das Angebot zu korrigieren. "Das wäre ein Vorwand gewesen, einen Bieter auszuscheiden. Das habe ich nicht gemacht, ein Indiz, dass hier korrekt vorgegangen worden ist", sagt Grasser.

Lehman Bros. sieht den erreichten Endpreis "am oberen Ende der Bewertungsbandbreite", wie ein Dokument belegt, das die Richterin an die Wand wirft. Mittagspause bis 14 Uhr.

Noch einmal die e-mails

Nach der Pause spricht die Verteidigung von Grasser: In zwanzigminütiger Recherche habe man herausgefunden, dass die am Vortag vorgelegte mailadresse A1plus ein SMS gewesen ist. Dass es in neun Jahren Ermittlungen nicht möglich gewesen sei, das herauszufinden, findet der Verteidiger bemerkenswert. "Man verschickt ein SMS und es kommt beim anderen als e-mail an", erläutert Grasser. Damit, will die Verteidigung sagen, sei der Vorwurf der Richterin falsch, Grasser habe gelogen wenn er sagte, er habe in seiner Zeit als Minister keine private e-mail-Adresse gehabt. Die Richterin schmunzelt und sagt, sie werde das prüfen - "falls Unklarheit besteht, was in der verhandlungsfreien Zeit passiert."

"Wer entschied, dass eine zweite Runde durchgeführt wird?" fragt Marion Hohenecker. "Das hat die Kommission entschieden, in Abstimmung mit dem Minister". Wieder beruft sich Grasser auf das Votum der Experten. "Die Vergabekommission hat völlig richtig entschieden, es wurde ja ein Kaufpreis von knapp 40 Millionnen mehr erziehlt."

Grasser widerspricht der Anklage

Noch einmal sagt Grasser, was die Zahl 960 Millionen seiner Ansicht nach bedeutet. Sie habe nicht den Spielraum des Bieters CA-Immo bedeutet, sondern dessen Gesamtkosten für das erste Angebot, das bei 922 Millionen lag. Die Zahl bedeute nicht den Spielraum des Bieters CA-Immo. "Man konnte aus dieser Information keine Schlussfolgerung ziehen auf ein mögliches zweites Angebot. Das aber ist der zentrale Vorwurf der Anklage gegen mich", sagt Grasser.

Die Anklage spreche von einem "Spielraum" der CA-Immo bis zu 960 Millionen, das aber sei falsch, sagt Grasser. "Wo immer die 960 herkommen, sie können nicht aus einem inneren Kreis kommen", formuliert Grasser. Aus den 960 wurde eine "Finanzgarantie", das sei eine "Fata Morgana". Er wisse nur, dass die Republik ein gutes Geschäft gemacht hat.

Woher kam die Zahl?

Meischberger erzählt, er sei nach Bekanntwerden der Gebote der ersten Runde entsetzt gewesen, dass das Österreich-Konsortium nicht seinem Rat gefolgt sei, eine Milliarde zu bieten. Woher Meischberger die Informationen habe, wollte Grasser von Meischberger wissen, als die Buwog-Vergabe zum Skandal geworden war. Er habe sie nicht vom Finanzministerium und dem Dunstkreis des Ministeriums. "Wie er das Geschäft gemacht hat, hat mich nicht interessiert. Das hat mit mir nichts zu tun, deshalb hab ich das auch nicht hinterfragt."

Acht Erklärungen, wie die Zahl 960 bekannt geworden sein könnte, habe er in seiner Schrift angeführt, erzählt Grasser. "Es ist für mich nicht relevant, woher das kam. Für mich  ist nur entscheidend, dass die Mystifizierung der 960 Millionen keinen realen Ursprung im Sachverhalt haben."

Die Richterin zählt ein paar Thesen aus Grassers Gegendarstellung auf: von der CA-Immo könnte der Tipp gekommen sein, von Jörg Haider, von der Bank Austria. "Von einem Detektivbüro" könnte es auch gekommen sein, sagt Grasser. Ihm sei wichtig gewesen, dass die Quelle nicht im Finanzministerium saß. "Stellen Sie sich vor, es wäre ein Kabinettsmitglied gewesen, die gleiche Katastrophe wie wenn ich selbst es gewesen wäre."

"Ich habe nie mit einer Anklage gerechnet"

Grasser betont immer wieder, nicht damit gerechnet zu haben, je angeklagt zu werden, weshalb er sich für die Details der Vorwürfe, die in Medien kolportiert wurden, nicht interessiert habe. Nach dem Schock der Anklage habe er sich hingegen intensiv mit den Fragen auseinandergesetzt.

Heiteres Zwischenspiel: eine Telefonnummer scheint in den Aufzeichnungen von Traumüller auf. "Ich hab gegoogelt", sagt die Richterin. "ÖVP Grieskirchen". "Ah, dann könnte es Wolfgang Großruck sein", sagt Grasser. Der war Wohnbausprecher der ÖVP und Bürgermeister von Grieskirchen.

Der 60. Geburtstag von Ernst-Karl Plech steht im Kalender, viele Meischberger-Termine. "Das ist jetzt 14 Jahre her, dreizehneinhalb", sagt Grasser zur Begründung, warum er nichts dazu sagen könne. Nach einem weiteren Durchgang durch den Terminkalender schließt die Richterin die Verhandlung um 15.41.