Herr Busek, Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zuletzt vor einer neuen Flüchtlingsroute am Balkan über Albanien gewarnt. Berechtigt?

ERHARD BUSEK: Ich sehe die Flüchtlinge nicht, die auf der Albanienroute herumgeistern sollen. Sie spielt zahlenmäßig überhaupt keine Rolle. Die Diskussion darüber ist völlig daneben, populistisch und wird diesem Land nicht gerecht. Aber es haben ja auch viele geglaubt, Kurz habe die Balkanroute geschlossen. Tatsächlich aber waren es die Türken – die dafür Geld aus Deutschland bekommen haben – und Mazedonien.

Wie steht es um Österreichs Außenpolitik am Westbalkan?

BUSEK: Man muss fair sein: Die neue Regierung hat den Balkan nicht aus ihrer Prioritätenliste gestrichen. Das ist schon einmal positiv. Außenministerin Karin Kneissl ist sich im Klaren, welche enorme geopolitische Bedeutung dieser Raum hat. Aber die Politik lebt zunehmend von der Optik und vom Angstmachen. Als Politiker gewinnt man an Bedeutung, wenn man sie thematisiert. Es herrscht ein österreichischer Provinzialismus. Aber damit melden wir uns aus der Geschichte ab.

Erkennen Sie Ihre ÖVP noch?

BUSEK: Man muss vorausschicken: Die Veränderung war und ist notwendig, sonst hätte es nie mehr einen Bundeskanzler aus der ÖVP gegeben. Sebastian Kurz hat begriffen, dass das traditionelle Parteiensystem zu Ende geht. Ob und was das Andere, das Neue ist, ist für mich allerdings nicht klar. Ich weiß nicht, wofür die ÖVP heute steht.

Für ein christlich-soziales Weltbild vielleicht? Zumindest gehört das zur ideologischen DNA dieser Partei.

BUSEK: Das Christlich-Soziale gibt es schon lange nicht mehr. Es ist mit der Zeit zerbröselt. Der letzte Parteichef, der diesbezüglich ein klares Profil hatte, war Josef Riegler. Ich selbst war in meiner Zeit als Parteichef (1991 bis 1995, Anm.) zu sehr mit dem EU-Beitritt Österreichs beschäftigt.

Die machtpolitisch entscheidende Frage für einen ÖVP-Obmann bleibt jene, wie lange die eigenen Landeshauptleute ruhig bleiben. Wie lange wird das Sebastian Kurz gelingen?

BUSEK: Sie sind schon jetzt nicht ruhig. Aber richtig interessant wird es, wenn es ans „Eingemachte“ geht, zum Beispiel um die Einhebung der Sozialversicherungsbeiträge. Derzeit leben die Landesbanken von der Abwicklung. Fällt das weg, wird es heiß. Aber Kurz hat auch diesbezüglich ein unglaubliches Talent: Immer wenn es Widerstand gibt, zieht er sich zurück.

Ist das echte Leadership?

BUSEK: Ganz klar: Nein! Aber er hat ein sehr gutes Netzwerk und ist ein geschickter Machterhalten. Er hat geschafft, wovon man als ÖVP-Obmann normalerweise nicht einmal träumen kann: Nämlich dass alle den Mund halten. Nur wird auch er in Situationen kommen, wo er hopp oder dropp sagen muss.

Beneiden Sie Sebastian Kurz, weil er ohne schlagkräftiger Opposition regieren kann?

BUSEK: Ich sehe das prinzipieller: Es ist nicht gut, wenn es wie derzeit keine Opposition gibt, weil sie demokratiepolitisch eine wichtige Bedeutung hat – nämlich das provozierend Wirkende. Derzeit hat die Opposition aber abgedankt, das stimmt.

Was ist los mit der SPÖ?

BUSEK: Ich glaube, Christian Kern hat von Natur aus keinen Zugang zur Oppositionsrolle. Ihm fehlt dafür das Gefühl und die Strategie. Statt gezielt auf einzelne Themen zu setzen, beißt er voll hinein. Aber die interessanteste Frage in Zusammenhang mit der SPÖ ist ohnehin, wie es in Wien weitergeht. Ich glaube, die Chance, dass ihnen dort die Macht abgenommen wird, ist jetzt vorbei. Michael Ludwig ist in die Mitte gerückt. Daran werden sich auch die Freiheitlichen die Zähne ausbeißen.

Tut es Ihnen um die Grünen leid?

BUSEK: Ich früchte, grüne Themen haben sich erschöpft, weil sie mittlerweile von allen anderen Parteien übernommen wurden. Die grüne Pflanze ist ja nicht erst mit dem Ausscheiden von Eva Glawischnig oder dem Ausstieg von Peter Pilz verwelkt, sondern schon unter der Parteiführung des jetzt hoch geschätzten Bundespräsidenten.

Sie haben offen mit den Neos sympathisiert. Was bedeutet der Rückzug von Matthias Strolz für diese Partei?

BUSEK: Ich fürchte, dass sie generell nicht die Breite haben, die notwendig wäre, um eine echte Alternative zu bieten. Sie sind zum Teil ein bürgerlicher Verschnitt.

Fürsprecher der Koalition der ÖVP mit der FPÖ führen ins Treffen, die FPÖ hätte sich geändert. Nehmen Sie der FPÖ ihre Veränderung ab?

BUSEK: Abgesehen von Rückfällen wie zuletzt mit dem Infragestellen der Personenfreizügigkeit in der EU glaube ich es Heinz-Christian Strache, der FPÖ aber nicht. Dort herrscht teilweise die Überzeugung „Am FPÖ-Wesen soll die EU genesen“ - das ist doch mehr als fraglich.