Die Reformpläne der Regierung bei der Mindestsicherung bedeuten für die allermeisten der betroffenen Familien Kürzungen. Darauf verweist die Armutskonferenz angesichts erster Modellrechnungen. Auch Alleinerzieherinnen werden entgegen der Darstellung der Regierung in vielen Fällen nicht von der Neuregelung profitieren: Ihnen drohen im Westen und in Wien Verluste.

Insgesamt sind in Österreich 83.818 Kinder auf Mindestsicherung angewiesen (Stand 2016). Mehr als die Hälfte der 307.533 Bezieher lebt in Familien mit Kindern. Von den nun geplanten Kürzungen werden allerdings - anders als von der Regierung suggeriert - nicht nur Großfamilien betroffen sein. Im Gegenteil: Die Armutskonferenz verweist darauf, dass klassische Paar-Familien in allen Bundesländern schon ab dem ersten Kind weniger Geld erhalten werden.

Unterschiede in Ländern

Auch die pauschale Behauptung der Regierung, dass Alleinerzieherinnen von der Reform profitieren werden, lässt sich durch die bisher vorliegenden Zahlen nicht belegen. Zwar hat ein Rundruf der APA in den Landesregierungen ergeben, dass Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern in fünf Bundesländern künftig mehr Geld erhalten könnten. In den westlichen Ländern Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie in Wien kommen aber auch auf sie Verluste zu, wenn mit der Reform die derzeit gewährten Mietzuschüsse wegfallen.

Die westlichen Bundesländer haben diesbezüglich bereits Widerspruch angekündigt. Scharfe Kritik an den Plänen kommt von Martin Schenk von der Armutskonferenz. Er hält den Wegfall der Mietzuschüsse für eine "Katastrophe". "Was passiert dann mit den Leuten? Die können ja massenweise delogiert werden", sagt Schenk gegenüber der APA. Außerdem kritisiert er, dass die Regierung ihre Vorschläge ohne Einbindung der Praktiker erstellt habe. Selbst Schwarz-Blau I habe zu den Hilfsorganisationen Kontakt gehalten.

Zu den Zahlen im Detail: Dass Mehrkind-Familien durch die Neuregelung Geld verlieren würden, liegt daran, dass die Kinderzuschläge für das zweite Kind auf 130 Euro sinken, ab dem dritten würden nur noch 43 Euro ausgezahlt. Allerdings würden auch Familien mit zwei Eltern und nur einem Kind künftig weniger erhalten. Denn das erste Kind würde zwar etwas höhere Zuschüsse bekommen (216 statt z.B. 155 Euro in der Steiermark), die Eltern aber weniger (1.208 statt 1.295 Euro). Der Verlust der Eltern frisst damit das Plus beim ersten Kind auf.

Für Alleinerzieherinnen würden diese Kürzungen abgefedert: Sie sollen einen zusätzlichen Bonus erhalten, der für das erste Kind 100 Euro ausmacht und dann mit der Anzahl der Kinder sinkt. Laut Regierung könnte eine Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern damit statt bisher 1.174 Euro künftig 1.383 Euro erhalten. Das Problem dabei: auf welches Bundesland sich das Beispiel bezieht, konnte das Sozialministerium auf APA-Anfrage nicht sagen.

Wie ein Rundruf der APA in den Landesregierungen ergeben hat, können Alleinerzieherinnen mit zwei Kindern nämlich schon jetzt in mehreren Ländern höhere Zuschüsse erhalten als die von der Regierung für diesen Fall künftig maximal erlaubten 1.383 Euro. Denn Wien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg zahlen zusätzliche Mietzuschüsse aus. Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern wird damit in Innsbruck je nach Höhe der tatsächlichen Mietkosten mit bis zu 1.841 Euro unterstützt - deutlich mehr als die von der Regierung geplanten 1.383 Euro. In Vorarlberg sind es bis zu 1.702 Euro, in Salzburg 1.647 und in Wien 1.452 Euro.

Eine Verbesserung wäre die Neuregelung zwar im Burgenland (1.196 Euro), in Kärnten (1.148), in der Steiermark (1.173), in Niederösterreich (1.260) und in Oberösterreich (1.345). Allerdings lebt in diesen Bundesländern nicht einmal ein Drittel der alleinerziehenden Eltern mit Mindestsicherung. Die überwiegende Mehrheit lebt in jenen Ländern, die derzeit (noch) höhere Unterstützungsleistungen auszahlen.

Bundesregierung kontert

Nach der Warnung der Armutskonferenz, wonach Alleinerzieherinnen durch die neue Mindestsicherungsregelung in einigen Bundesländern weniger erhalten könnten als bisher, hat die Regierung klargestellt, dass dies in keinem einzigen Bundesland passieren wird. Die Mietzuschüsse seien nicht von der Mindestsicherungsregelung umfasst, den Ländern stehe es weiterhin frei, diese zu gewähren, hieß es.

Alleinerzieherinnen mit ein oder zwei Kindern würden daher in keinem Bundesland weniger erhalten, sondern profitieren. Die Aussagen und Zahlen der Armutskonferenz seien "sachlich nicht zutreffend", erklärte Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal in einer Aussendung am Donnerstag. In den Berechnungen der Armutskonferenz wurden die Mietzuschüsse der Länder "fälschlicherweise in die Mindestsicherung miteinberechnet", so Launsky-Tieffenthal. "Es ist jetzt schon so, dass von den 863 Euro 25 Prozent als Wohnbedarf zu rechnen sind. Zusätzlich werden in einzelnen Bundesländern Mietzuschüsse gewährt. Diese Mietzuschüsse für Alleinerzieherinnen sind nicht von der Mindestsicherungsregelung umfasst und werden künftig auch weiterhin gelten."

Alleinerzieherinnen in allen Bundesländern seien daher "die Gewinnerinnen dieses Modells". Die bei der Regierungsklausur am Montag genannten 1.383 Euro als Obergrenze seien der Betrag alleine für die Mindestsicherung (bei einer Alleinerzieherin mit zwei Kindern), hieß es auf Nachfrage im Kanzleramt. Den Ländern stehe es selbstverständlich frei, darüber hinaus Sozialleistungen wie eben Mietzuschüsse nach ihren eigenen Vorstellungen weiterhin zu vergeben.

Das erklärte Ziel der Regierung sei es, dass keine Alleinerzieherinnen mit ein oder zwei Kindern weniger erhält als bisher, betonte man im Kanzleramt.

Seitens der Armutskonferenz hieß es zur APA, Basis der Berechnungen sei der Ministerratsvortrag.

Stadt Wien: Beispiele falsch

Die von der Regierung bei ihrer Klausur am Montag vorgestellten Fallbeispiele für die Mindestsicherung für Wien sind auch laut der Bundeshauptstadt falsch. Die in den Beispielen genannten Beträge der bisherigen Mindestsicherung seien nicht korrekt, hieß es am Donnerstag in einer Aussendung des Büros des Wiener Gesundheits- und Sozialstadtrats Peter Hacker (SPÖ).

Es sei "unglaublich, dass die schwarz-blaue Bundesregierung bei ihrem Mindestsicherungsmodell bewusst falsche Zahlen verwendet", erklärte dazu die Wiener SPÖ-Gemeinderätin Gabriele Mörk. Einerseits wolle die Regierung damit ihre Sozialabbau-Politik besser begründen, andererseits Wien "möglichst schaden", sagte sie in einer Aussendung.

Die Magistratsabteilung 40 (Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht) hatte laut dem Büro Hacker zuvor darauf verwiesen, dass etwa eine österreichische Familie mit drei Kindern in Wien bisher nicht - wie von der Regierung dargestellt - 2.590 Euro Mindestsicherung erhielt, sondern nur bis zu 2.028,24 Euro (inkl. 34,62 Euro mögliche Mietbeihilfe).

Auch die von der Regierung genannte bisherige Höhe der Geldleistung für eine fünfköpfige ausländische Familie in Wien (seit sechs Jahren in Österreich) ist demnach falsch: Statt den genannten 2.460 Euro betrug die Zahlung hier bis zu 2.513,26 Euro (inkl. 53,60 Euro möglicher Mietbeihilfe).

Ebenso nicht korrekt sind laut MA 40 die übrigen Zahlen: Eine österreichische Alleinerzieherin mit zwei Kindern in Wien habe nicht wie seitens der Regierung behauptet bisher 1.174 Euro erhalten, sondern bis zu 1.451,50 Euro (inkl. 122,48 Euro Mietbeihilfe). Ein Asylberechtigter kommt laut dem Wiener Mindestsicherungsgesetz nicht auf die genannten 863 Euro, sondern auf bis zu 1.069,08 Euro (inkl. 206,04 Euro Mietzinsbeihilfe). Gleiches gelte für einen EU-Ausländer, der sich seit vier Jahren in Österreich aufhalte, hieß es aus dem Büro Hackers.

Die Regierung hatte die Rechenbeispiele über die Auswirkungen der geplanten Reform der Mindestsicherung bei der Regierungsklausur an die Medien verteilt - allerdings ohne die Zahlen näher zu erklären. Die APA bat das Sozialministerium daher bereits am Dienstag um eine Erläuterung der entsprechenden Berechnungsgrundlagen. Trotz mehrmaliger Nachfrage blieb diese Bitte bis zum späten Mittwochnachmittag unbeantwortet.

"Die Absicht der ÖVP-FPÖ-Regierung ist an sich leicht zu durchschauen. Sie verwendet Zahlen nach Belieben. Manchmal auch Fantasiezahlen", sagte dazu Gemeinderätin Mörk. Die Berechnungen würden einem "wie Kraut und Rüben" vorkommen. "Die Regierung unterscheidet bewusst nach In- und Ausländern bzw. nach Asylberechtigten, obwohl es diese Unterscheidung in der Berechnung der Mindestsicherung gar nicht gibt!", so die SPÖ-Politikerin. Eine siebenköpfige inländische Familie bekomme "exakt so viel wie eine ausländische Familie mit dieser Kinderzahl", betonte sie. "Nachdem die Regierung nicht davor zurückscheut, falsche Zahlen zu verwenden, ist zu hoffen, dass die Medien in Zukunft derart veröffentlichte Zahlen kritischer betrachten und nicht mehr unhinterfragt verwenden", gab sie sich auch medienkritisch.