Alle drei Oppositionsparteien haben am Dienstag die Regierungspläne für die Reform der Sozialversicherungen heftig kritisiert. SPÖ, NEOS und Liste Pilz warfen der Koalition vor, vor allem eigene Machtinteressen zu verfolgen.

SPÖ-Gesundheitssprecherin Pamela Rendi-Wagner konstatierte die wohl "größte Umfärbeaktion der Zweiten Republik". Der Regierung gehe es nicht um die Gesundheit der Menschen, sondern um eine Verschiebung der Macht innerhalb der Sozialversicherung von den Arbeitnehmern hin zu den Arbeitgebern, meinte Rendi-Wagner. Die angekündigte Milliarde kann ihrer Ansicht nach nur am Rücken der Patienten durch Kürzungen der Leistungen eingespart werden, weil die gesamten Verwaltungskosten der Kassen nur bei knapp 500 Mio. Euro liegen. Auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher meinte, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wolle die Kassen den Unternehmen schenken.

"Marketing-Gag"

Die NEOS sehen in der angekündigten Reform nur einen "Marketing-Gag". Sozialsprecher Gerald Loacker vermisst sowohl die Einhebung der SV-Beiträge durch das Finanzamt als auch eine tatsächliche Neuaufstellung der Sozialversicherungen. Und weil die Regierung die Privilegien der Beamten weiter schütze, werde die größte Ungerechtigkeit im System gefestigt. Dass die 15 Krankenfürsorgeanstalten unangetastet bleiben, hält Loacker für einen Kniefall vor den Ländern.

Ebenso wie die SPÖ fürchtet auch die Liste Pilz Leistungseinschränkungen für die Versicherten. Wenn die Einsparungen auch durch Harmonisierungen erreicht werden sollen, müssten großzügigere Kassen ihre Leistungen auf das Niveau anderer senken, meinte Gesundheitssprecher Peter Kolba. Die Liste Pilz sammelt im Internet (http://www.buergerrechte.online) Beschwerden über sichtbare Einsparungen im Gesundheitssystem.

Kritik auch von ÖGB, AK und Kassen

Die geplante Reform der Sozialversicherungen hat bei Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Kassen heftige Kritik ausgelöst. Licht und Schatten sieht Hauptverbandschef Alexander Biach, er fordert Präzisierungen und eine Fortsetzung der Gespräche. Industrie und Landwirtschaft begrüßten die Regierungspläne.

Biach begrüßt ausdrücklich den Fortbestand der Selbstverwaltung, das Verbleiben der Beitragseinhebung bei der Sozialversicherung, das grundsätzliche Bekenntnis zur AUVA und vor allem die angekündigte Umsetzung in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern. Bei etlichen Themen, wie der Ausgestaltung der Gremien, der Beitragsprüfung, der Leistungsharmonisierung und den angeführten Einsparungen, ortet der Hauptverbands-Vorsitzende aber Klärungsbedarf und bietet der Regierung weiterhin Kooperation und Gesprächsbereitschaft an. Dringenden Gesprächsbedarf sieht Biach, weil die Beitragsprüfung zur Finanz gehen soll, weil diese sei genauso wie die Beitragseinhebung verfassungsrechtlich untrennbar mit dem Prinzip der Selbstverwaltung verbunden. Die Leistungsharmonisierung wünscht sich der Hauptverbandschef über alle Träger und nicht nur innerhalb der "Österreichischen Gesundheitskasse".

Der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achitz warnte vor drohenden schlechteren Leistungen für die Patienten. Den Widerstand gegen Leistungskürzungen wolle die Regierung mit der "Enteignung der versicherten Arbeitnehmer" brechen, sagte Achitz, der auch stellvertretender Vorsitzender im Hauptverband ist. Damit meint er, dass die Arbeitnehmer in den Kassengremien ihre Mehrheit verlieren. Achitz hält die Reform für "eine Nebelgranate, mit der die Bundesregierung von ihrem Anschlag auf die Gesundheitsversorgung ablenken will". Weiters kritisierte er, dass die Unterschiede zwischen Beamten und GKK-Versicherten noch größer würden.

Auch die Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse und Vorsitzende der Trägerkonferenz im Hauptverband, Ingrid Reischl, hält die Arbeitnehmer für die "großen Verlierer der Reform." Wenn die Finanz künftig die Beiträge prüft, hat sie die Sorge, dass die Kollektivverträge nicht mehr eingehalten oder Überstunden nicht mehr ausgezahlt werden. Das werde sich "in der Geldbörse bemerkbar machen". Die angekündigte Einsparung von einer Milliarde hält Reischl nicht für realistisch. Und auch den angestrebten Personalabbau durch natürlichen Abgang kann sie nicht nachvollziehen. In der WGKK würden nicht so viele Leute in Pension gehen.

Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl hält die Pläne der Regierung für "unprofessionell". Sie mache "aus neun Kassen zehn, lässt letztlich Leistungskürzungen befürchten und verschleiert die Kontrolle und die Transparenz für die Versicherten".