Sie haben vor einem Jahr das Ruder übernommen, wirken aber nicht so ausgebrannt. Hat das mit Ihrem Alter zu tun?

SEBASTIAN KURZ: Es ist eine tagfüllende, oft auch nachtfüllende Aufgabe, alles, was wir uns an Veränderungen vorgenommen haben, auch umzusetzen. Aber der Rückenwind, den wir aus der Bevölkerung erleben, gibt meinem Team und mir viel Kraft und Energie, das hilft.

Sind die Tage länger als als Außenminister?

Auch die Aufgabe des Außenministers war sehr anspruchsvoll. Was größer geworden ist, ist die Verantwortung, Entscheidungen zu treffen. Was stärker geworden ist, ist der Widerstand gewisser Gruppen gegen notwendige Veränderungen. Was schöner ist, ist der größere Gestaltungsspielraum, um Veränderung umzusetzen.

Ihr Vorgänger Mitterlehner hat kürzlich gemeint, die Politik gehe ihm ab. Was ihm nicht abgehe, seien „Machtkämpfe und Intrigen“. Wie sehr ist Politik von Intrigen bestimmt?

In der Politik geht es um unterschiedliche Interessen, und auch ich erlebe, dass viele Gruppen hart für ihre Interessen kämpfen, etwa bei der Zusammenlegung der Sozialversicherungen. Da gibt es Funktionäre, die ihren Einflussbereich behalten wollen. Da erleben wir viel Widerstand. Das bringt mich aber keinen Millimeter vom Vorhaben ab, die Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf zusammenzulegen. Das haben wir im Wahlkampf versprochen, das werden wir auch tun, egal, wie groß der Widerstand ist.

Mitterlehner hat auf innerparteiliche Intrigen angespielt?

Natürlich gibt es auch innerparteilich immer wieder unterschiedliche Konflikte. Wenn ich an die Zusammenlegung der Sozialversicherung denke, kommt der Widerstand auch von Mitgliedern der ÖVP. Ich gehe dennoch meinen Weg.

Strolz geht, die Liste Pilz hängt in den Seilen, die SPÖ steckt in der Krise. Bald stehen Sie ohne Opposition da. Optimal, oder?

So sehe ich das nicht. Wir haben eine politische Vielfalt, und das ist auch gut so.

Bedauern Sie, dass Strolz geht? Oder freuen Sie sich nicht klammheimlich?

Ich bedaure es. Natürlich gab es Themen, wo wir nicht einer Meinung waren, aber er war eine Bereicherung für die politische Landschaft in Österreich.

Es dringen in der Koalition kaum Streitigkeiten nach draußen. Führt das nicht manchmal zur Selbstverleugnung, ich denke an die Causa Soros?

Es ist wichtig, dass in der Regierung miteinander, nicht gegeneinander gearbeitet wird. Der Streit hat in der Vergangenheit zu Stillstand und gegenseitiger Blockade geführt, das haben die Menschen satt. Ohne ordentliche Zusammenarbeit wäre es nicht möglich gewesen, schon in den ersten hundert Tagen solche Maßnahmen zu setzen.

Sie üben sich auffallend oft in Zurückhaltung bei Fragen, die die FPÖ betreffen.

Natürlich habe ich zu jeder Frage, die medial diskutiert wird, eine Meinung. Ich entscheide aber schon selbst, wo ich mich medial oder in einem Vieraugengespräch zu Wort melde. Für mich ist es entscheidend, dass in der Regierung unser Programm umgesetzt wird.

Soros, „stichhaltige Gerüchte“: Da wird doch am Wertekompass der Republik gerüttelt?

Im Fall Soros habe ich klar gesagt, dass ich die Art und Weise, wie die Diskussion in Ungarn und teils auch in Österreich geführt wurde, ablehne. In jeder Koalition gibt es Differenzen. Die Frage ist: Zelebriert man Konflikte ständig medial und lähmt dadurch die eigene Arbeit oder fokussiert man sich auf das Regierungsprogramm?

War es ein Fehler, die FPÖ nicht nach Mauthausen einzuladen?

Das ist eine Entscheidung des Mauthausen-Komitees, die wir respektieren. Es ist notwendig, klar gegen Antisemitismus anzukämpfen. Es wäre gut, die Bemühungen des Vizekanzlers, gegen Antisemitismus auch in der eigenen Partei anzukämpfen, anzuerkennen.

Sie sind mit dem Slogan „Zeit für Neues“ angetreten. Sie haben erste Pflöcke eingeschlagen. Wollen Sie auch die großen Projekte angehen, etwa die Pflege? Oder bleibt's beim Klein-Klein?

Es hat schon viel Veränderung in den ersten Monaten stattgefunden. Wir haben einen neuen Stil eingebracht, indem wir andere nicht anpatzen, sondern uns auf unsere Arbeit konzentrieren. In den ersten 100 Tagen wurde ein massiver Kurswechsel vollzogen - statt Schuldenpolitik ein ausgeglichenes Budget, statt neuer Steuern eine Steuerentlastung und statt des Kontrollverlusts des Staates eine restriktive Zuwanderungspolitik. Darüber hinaus werden wir vor dem Sommer die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger, eine Neugestaltung der Mindestsicherung und eine Verwaltungsreform beschließen.

Jeder Experte sagt, die Zusammenlegung kann aber nur ein erster Schritt sein. Das Geld versickert woanders?

Jahrzehntelang wurde die Zusammenlegung der Sozialversicherungsträger eingefordert, jahrzehntelang hat sie nicht stattgefunden. Wir schaffen das im ersten Jahr. Natürlich ist das nicht unser einziges Projekt, aber es ist ein wichtiges Projekt. Wir sind mit einem enormen Tempo unterwegs, das bringt auch Widerstand mit sich. So wie Macron in Frankreich Demonstrationen erlebt, wird es auch Widerstand und Demonstrationen in Österreich geben, aber wir gehen unseren Weg.

Von Streiks werden Sie sich nicht abbringen lassen?

Ich werde mich weder von Demonstrationen noch von Streiks abbringen lassen. Wir wurden gewählt, um das alte System aufzubrechen.

Die Angst geht um, dass im Zuge der Reform die Leistungen der AUVA beschnitten werden?

Was die Gegner der Reform behaupten, stimmt nicht. Es werden keine Spitäler geschlossen und keine Leistungen gestrichen, es wird in der Verwaltung, bei den Funktionären gespart.

Es soll auch die Notstandshilfe reformiert werden. Können Sie garantieren, dass der Staat jenen, die ein Leben lang gearbeitet haben, mit 60 arbeitslos geworden sind und keinen Job bekommen, nicht das Vermögen wegnimmt?

Wir wollen ein gerechteres System schaffen. Das bedeutet eine Besserstellung von Menschen, die lange gearbeitet und einbezahlt haben, und ein restriktives System bei allen, die noch gar nicht einbezahlt haben.

Kein Zugriff auf das Vermögen bei älteren Arbeitslosen.

Ja.

In einigen Moscheen gab es zweifelhafte Vorkommnisse. Ist es vorstellbar, dass solche Moscheen geschlossen werden?

Als ich früher gefordert habe, dass das Kultusamt gestärkt werden soll, ist das von der SPÖ abgelehnt worden, man dürfe keine Religionspolizei in Österreich schaffen. Als Kanzler habe ich das Kultusamt aufgestockt. Bei Verstößen werden wir mit null Toleranz reagieren. In Österreich gibt es Religionsfreiheit, aber keinen Platz für politischen Islamismus.

Werden zweifelhafte Hinterhof-Moscheen geschlossen werden?

Wenn es Verfehlungen gibt, werden wir sie schließen.

In Kürze wählt die Türkei. Was ist, wenn türkische Minister nach Österreich kommen?

Wir haben die Türkei informiert, dass wir keine Wahlveranstaltungen in Österreich dulden. Der türkische Wahlkampf hat in Österreich nichts verloren. Solche Veranstaltungen werden wir nicht zulassen.