Mit einem Festakt im Bundeskanzleramt und dem "Fest der Freude" am Wiener Heldenplatz gedenkt Österreich heute Dienstag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa. Am 8. Mai 1945 hatte die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapituliert.

Beim Festakt am Vormittag fand Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) kritische Worte. Der 8. Mai signalisiere einen Wendepunkt, er sei "ein Tag der Freude, aber auch ein Tag, an dem wir uns unserer Verantwortung stellen müssen". Österreich habe sich seine Vergangenheit erst viel zu spät eingestanden. Der Kanzler erinnerte etwa daran, dass mehr als 100.000 Österreicher von den Nazis beraubt, gedemütigt und vertrieben wurden. "Nur ganz Wenige wurden nach dem Zweiten Weltkrieg zurückgeholt", so Kurz.

Die Rede des Schriftstellers Michael Köhlmeier anlässlich der NS-Gedenkveranstaltung des Parlaments am Freitag sorgt weiter für Diskussionen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht in der Kritik des Autors einen NS-Vergleich: „Die Aussage, dass es auch damals Menschen gegeben hat, die Fluchtrouten geschlossen haben, zielt eindeutig auf Nazis und Nazi-Kollaborateure ab“, sagte Kurz zur „Kleinen Zeitung."

Köhlmeier hatte in seiner Rede anlässlich der NS-Gedenkveranstaltung des Parlaments am Freitag gesagt: "Es hat auch damals schon Menschen gegeben, die sich damit brüsteten, Fluchtrouten geschlossen zu haben." Die Anspielung galt Kurz, der immer wieder betont hatte, die Balkan-Route geschlossen zu haben. Einen Vergleich mit dem Nationalsozialismus, wie Kurz die Kritik interpretiert, hatte der Autor aber nicht wörtlich gezogen.

Regierung gedachte des Endes des NS-Regimes

Vizekanzler Heinz-Christian Strache erinnerte daran, dass Österreich am 8. Mai 1945 vom Hitler-Regime befreit wurde. Diese Befreiung habe "zwei Gesichter" gehabt, "weil es natürlich auch danach noch viel Leid gegeben hat". Die grausame NS-Herrschaft habe ein Trümmerfeld hinterlassen, danach hätten die "Trümmerfrauen" den Wiederaufbau begonnen. "Ihnen würde als Symbol für Überlebenskraft und Überlebenswillen auch ein Denkmal gebühren", so Strache. Der starke Glaube an Österreich und das Heimatbewusstsein hätten nichts mit Nationalismus zu tun, sondern mit Identität, Selbstbewusstsein und Selbstverantwortung.

"Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Opfern des Dritten Reichs, denen wir mit Charakter, Respekt und einem starken Gewissen verpflichtet sind", stellte Strache klar. Antisemitismus sei "ein Ungeist, der nicht nur in unserer Bevölkerung da oder dort vorhanden ist, sondern leider Gottes in den letzten Jahren auch importiert wurde".

"Jetzt haben wir den Scherm auf"

Als Festredner trat der Holocaust-Überlebende und Künstler Arik Brauer auf. Er berichtete in eindringlicher Form von seiner Verzückung angesichts des von ihm erlebten Einmarschs der russischen Truppen. "Für mich war es selbstverständlich eine Befreiung, für mich war es selbstverständlich ein Sieg. Nicht so für die Bevölkerung." Zerstörte Wohnungen, gefallene Kinder und Ehemänner, vergewaltigte Töchter seien die Realität gewesen.

"Bin ich erlöst? Bin ich befreit? Natürlich nicht", sagte der Holocaust-Überlebende. Es sei den meisten Menschen schier unmöglich gewesen, die Situation so einzuschätzen. "Die Menschen hatten das Gefühl, wir haben den Krieg verloren, so, jetzt haben wir den Scherm auf."

Brauer erinnerte aber auch an den "hysterischen Jubel" 1938 in Österreich angesichts des "Anschlusses" an Nazideutschland und das "euphorische Gefühl, einer auserwählten Rasse anzugehören, die das Recht hat und vielleicht auch die Pflicht hat, alle anderen zu besiegen, zu unterdrücken, zu versklaven und wenn's passt auch auszurotten".

Gewonnen habe letzten Endes auch die Demokratie über die Diktatur. "Die Demokratie ist eine zarte Pflanze, das wissen wir, und man muss sie ununterbrochen pflegen und gießen." Unterschiedliche Interessen, Denkweisen und Gefühle der Bevölkerung machten all das sehr kompliziert, das gehe vielen auf die Nerven und lasse teils auch den Wunsch nach einer starken Hand laut werden. Jedoch: "Diktatur kann man nicht ein bisserl kriegen", und das Leben unter ihr sei fürchterlich.

Was wird gefeiert?

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 unterzeichneten die Spitzen der Wehrmacht die Kapitulationsurkunde. Das Ende des Zweiten Weltkriegs war besiegelt. In den sechs Jahren vom deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 bis zur Kapitulation Japans am 2. September 1945 kostete der verheerende Krieg weltweit über 50 Millionen Menschen das Leben - alleine in der Sowjetunion starben rund 27 Millionen.

Das schon traditionelle "Fest der Freude" am Jahrestag der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 8. Mai wartet in diesem Jahr abermals mit einem musikalischen Stargast auf: Violinist Julian Rachlin wird bei dem Gratis-Konzert der Wiener Symphoniker auf dem Heldenplatz Ausschnitte aus Tschaikowskis Violinkonzert spielen. Am Pult steht dabei der israelische Dirigent Lahav Shani. ORF III überträgt live ab 20 Uhr vom Wiener Heldenplatz.