"Rüdiger! Es reicht!“ Mit leichter Verzweiflung raunte der Angeklagte diese Aufforderung seinem Anwalt zu. Doch der Jurist Rüdiger Schender redete sich vor dem Landesgericht Klagenfurt ungebremst in Rage. Im Grunde verteidigte er seinen Klienten, den ehemaligen freiheitlichen Politiker Uwe Scheuch, in diesem Moment nicht mehr, sondern war auf dem besten Weg dazu, mit seiner Brandrede das Strafmaß sogar noch zu erhöhen.

Das war vor fünf Jahren. Bis vor wenigen Tagen galt eben dieser Rüdiger Schender als Top-Kandidat für einen Sitz im Verfassungsgerichtshof. Teile der FPÖ hätten den langjährigen Parteianwalt und Kanzlei-Partner von Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer gerne mit den höchsten richterlichen Weihen dekoriert gesehen. Alleine: Das Rennen wird er nicht machen. Statt seiner werden nun einem anderen FPÖ-nahen Anwalt beste Chancen eingeräumt: Michael Rami.

Auf Ramis Mandantenliste standen bisher so ziemlich alle FPÖ-Politiker, die Medienverfahren angestrebt haben - aber auch SPÖ-Altkanzler Alfred Gusenbauer. Besonders pikant war deshalb ein Prozess im November 2017: Da stand Rami dem Verfassungsrichter Johannes Schnizer gegenüber, der im Jahr 2007 Kabinettschef von Kanzler Gusenbauer gewesen war. Rami verklagte im FPÖ-Auftrag den Höchstrichter wegen FPÖ-kritischer Aussagen zur Anfechtung der Bundespräsidenten-Stichwahl. Man einigte sich letztlich auf einen Vergleich.
Diese Episoden zeigen, wie fließend die Grenzen sind, wenn es darum geht, fähige und zugleich unbefangene Verfassungsrichter zu finden. Dass nicht nur Parteianwalt Rami, sondern auch der bisherige Vizekanzler Wolfgang Brandstetter Mitglied des Höchstgerichtes werden soll, treibt Kritiker auf die Barrikaden.

Gar so neu ist die Parteinähe mancher Verfassungsrichter freilich nicht. Schon Wilhelm Rosenzweig, von 1954 bis 1978 eines der längstdienenden Mitglieder des Richter-Gremiums, war ein prominenter Parteianwalt der SPÖ, der Kanzler Bruno Kreisky sogar politisch beriet. Ein interessanter Fall ist auch Peter Jann, Verfassungsrichter von 1978 bis 1995 und danach Mitglied am Europäischen Gerichtshof: Er war unmittelbar vor seiner Bestellung fünf Jahre lang Pressereferent und Jurist im ÖVP-Parlamentsklub gewesen. Bestellt wurde er allerdings auf Vorschlag der SPÖ-Alleinregierung.

Und derzeit? Der schon erwähnte Schnizer war vor seiner Bestellung Kabinettschef bei Gusenbauer. Die aus Graz stammende Richterin Claudia Kahr arbeitete einst im SPÖ-Parlamentsklub sowie bei SP-Finanzminister Herbert Salcher und SP-Staatssekretärin Brigitte Ederer. Mit Brandstetter, Rami und dem FPÖ-nahen Linzer Uni-Professor und Burschenschafter Andreas Hauer wird der politische Einfluss nicht geringer.

Ein Teil der Politiknähe resultiert aus dem Bestellmodus: Präsident und Vizepräsident werden von der Bundesregierung vorgeschlagen. Allerdings gelten sowohl die künftige Präsidentin Brigitte Bierlein als auch Vize Christoph Grabenwarter als exzellente Juristen, die über allen Verdacht erhaben sind. Die Regierung nominiert auch sechs der restlichen zwölf Verfassungsrichter und drei der sechs Ersatzmitglieder. Die übrigen (Ersatz-)Mitglieder schlagen der Nationalrat und der Bundesrat vor.

Wie „bei allen Verfassungsgerichten der Welt“ sei die Bestellung „auch eine politische Entscheidung“, heißt es in der amtlichen Eigendefinition des Gremiums. Jedoch „agieren die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter nach ihrem Amtsantritt völlig unabhängig und nicht entlang parteipolitischer Zuordnungen“, wird auf der VfGH-Homepage beteuert. Bewegt sich der VfGH im Minenfeld der Politik, dann wird regelmäßig die Frage der Nebenamtlichkeit zum Thema. Denn während sich ein Großteil Europas hauptberufliche Verfassungsrichter leistet, sitzen bei uns Anwälte, Uni-Professoren und Wirtschaftstreuhänder im Höchstgericht - allerdings meist mit stark eingeschränkter Nebentätigkeit.

Tatsächlich sorgt die große Zahl an Ersatzmitgliedern in der Praxis dafür, dass beim Anflug von Befangenheit sofort ein Austausch stattfindet. Aktenkundig sind freilich auch Ausnahmen. So saß Karl Korinek, später Präsident des VfGH, im Aufsichtsrat der Erste Bank und fällte trotzdem Entscheidungen, die deren unmittelbarsten Konkurrenten, die Bank Austria, betrafen.

In Deutschland gelten strengere Regeln, allerdings sitzen auch dort etwa der Ex-Ministerpräsident des Saarlandes oder der frühere thüringische Innenminister im Höchstgericht. „Wer dieses Amt ausfüllen will, braucht die Fähigkeit, sich in ein Kolletiv einzugliedern, damit es zu fruchtbaren Entscheidungen kommt und nicht zur Demonstration korrespondierender Eitelkeiten“, sagt Wolfgang Mantl, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Uni Graz.

Nun weiß man seit Cicero und Hortensius, den großen Anwälten und Politikern der Antike, dass im Spannungsfeld zwischen Gericht und Senat Rollen gespielt werden, und ebenso alt ist die Frage der Vereinbarkeit verschiedener Rollen. Heinz Mayer, Emeritus für Öffentliches Recht an der Uni Wien: „Man weiß bei solchen Leuten nie, welchen Hut sie gerade aufhaben.“