Die Einladungen sind längst verschickt worden - an jene 20 Personen, die streng abgeschirmt von den Medien in einer Sondersitzung am Sonntag ab 18 Uhr über das Schicksal der ÖVP befinden. Das Treffen in der Politischen Akademie unweit von Schönbrunn ist auf wenige Stunden anberaumt. Der Volkspartei steht womöglich die größte Revolution seit Jahrzehnten ins Haus - nicht aus innerer Einsicht, sondern weil Sebastian Kurz nicht das Schicksal seiner Vorgänger erleiden will. „Ich habe mehr als ein halbes Dutzend ÖVP-Chefs miterlebt“, erzählt ein hochrangiger Parteifunktionär. „Jedes Mal ist ihm von Ländern und Bünden alles versprochen worden, nur hat sich später keiner an die Zusagen erinnert. Wenn wir nicht jetzt Nägel mit Köpfen machen, schaufeln wir uns unser eigenes Grab.“

Nicht nur Reinhold Mitterlehner, auch Michael Spindelegger und Josef Pröll wurden von der eigenen Partei demontiert. „Wir müssen aus den schmerzlichen Erfahrungen der letzten Jahre die richtigen Lehren ziehen“, erklärt ein anderer Spitzenfunktionär. „Kurz braucht inhaltlich und personell den vollen Gestaltungsspielraum.“ Um dem hinzuzufügen: „Das muss er sich schriftlich geben lassen. Mündliche Zusagen sind in der ÖVP nichts wert.“ Personeller Gestaltungsspielraum hieße, dass sich Kurz sein Team selbst zusammenstellen kann - angefangen von den Ministern über den Klubobmann und den Generalsekretär bis hin zu den meisten Abgeordneten.

Derzeit sind es die Länder und die Bünde, die den Großteil der Liste erstellen. Der Parteichef ist ein Kaiser ohne Kleider. Sebastian Kurz war den gestrigen Tag auf Tauchstation. Rund um die Uhr führte er Gespräche und Telefonate mit den maßgeblichen Köpfen der Partei. Über den Inhalt drang nichts nach außen. Nur so viel enthüllte ein Insider: „Es quietscht und knattert, und es sprühen die Funken.“ Was der künftige ÖVP-Chef einfordert, stößt bei Bünden und Ländern auf wenig Gegenliebe: Es ist eine Art von Durchgriffsrecht, Generalvollmacht, Blankoscheck.

Jüngste Manöver wie jenes von Erwin Pröll, der Reinhold Mitterlehner einen neuen Innenminister aufs Auge gedrückt hat, oder anderer Landeschefs, die unliebsame Konkurrenten nach Wien geschickt haben, wären dann Geschichte. Im Tauziehen mit den Ländern sitzt Kurz am längeren Ast. „Kurz kann immer noch sagen: Wenn ihr das nicht wollt, gehe ich nach Amerika und ihr macht es selber“, so ein enger Mitstreiter. „Nur dann stürzt die ÖVP bei der Wahl auf 15 Prozent ab.“ Um sich nicht im politischen Getriebe aufreiben zu lassen, soll nicht Kurz, sondern einer seiner Vertrauten - im Gespräch ist Staatssekretär Harald Mahrer, allenfalls Finanzminister Hans Jörg Schelling - zum Vizekanzler aufrücken. Der Kurz-Coup geht allerdings mit einer wenig populären Maßnahme einher: mit der Forderung nach Neuwahlen.

Wer zieht die Reißleine?

Die ÖVP steht vor einer heiklen Gratwanderung: Wie sag ich's der Bevölkerung, dass Österreich noch im Herbst wählen soll? Als Termine stehen der 24. September, an dem auch Deutschland wählt, der 1. oder 8. Oktober im Raum. Bereits nächste Woche könnte im Nationalrat ein Neuwahlantrag eingebracht werden - angenehmer oder unangenehmer Nebeneffekt, je nach Sichtweise: Der U-Ausschuss würde abgedreht werden, ehe er überhaupt das Licht der Welt erblickt. Ortswechsel ins verschlafene Tiroler Bergdorf Alpbach: Die meisten Gaststätten haben geschlossen, Touristen sind kaum hier, und selbst der Supermarkt schließt früher als zu Saisonzeiten.

Doch so friedlich die Stimmung eigentlich scheint, so hart geht hier die Auseinandersetzung zwischen SPÖ und ÖVP nach dem Rücktritt des Vizekanzlers und ÖVP-Obmanns Reinhold Mitterlehner am Rande der regulären Landeshauptleutekonferenz über die Bühne. So bezeichnete Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), derzeit Chef der Landeshauptleute-Konferenz, das Friedensangebot von Kanzler Christian Kern im Namen der schwarzen Landeshauptleute als „unglaubwürdig. Die Menschen haben von den Streitereien in der Regierung die Nase voll.“

Ohne es offen auszusprechen, lässt Platter kaum Zweifel daran, dass die ÖVP-Landeshauptleute noch heuer wählen wollen - mit dem Außenminister als Spitzenkandidaten. Auch Finanzminister Schelling argumentiert ähnlich: „Kern hat seit Amtsbeginn Kurz als Zielscheibe. Dabei ist ihm jedes Mittel recht. Kern hat es kommentarlos zugelassen, dass Kurz mit einem Massenmörder verglichen wird, und einen Tag später bietet er eine Reformpartnerschaft an. Das ist unglaubwürdig und zeigt, wie unehrlich Kern agiert.“ Die in Alpbach anwesenden SPÖ-Landeshauptleute wollen in Sachen Neuwahlen nicht recht mitspielen: „Wir wollen das neue Regierungsprogramm abarbeiten, nicht früher wählen“, sagte etwa Kärntens SPÖ-Chef Peter Kaiser. Wenn die ÖVP nicht mehr wolle, solle sie das sagen. Ähnlich Wiens Bürgermeister Michael Häupl: „Wenn die ÖVP vom Arbeitstisch aufstehen will, soll sie das tun.“ Zusatz: „Aber es gibt immer einen Tag nach der Wahl, das sag ich Ihnen.“