Dort, wo sonst jeden Sonntag mehrere Gäste miteinander diskutieren, saß diesmal nur einer Ingrid Thurnher gegenüber: Kanzler Werner Faymann. Eine Woche lang wurde heftigst über den bevorstehenden Solo-Auftritt des Kanzlers im ORF-Talkformat "Im Zentrum" diskutiert. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka unterstellte dem ORF Wahlwerbehilfe für die SPÖ, Parteichef Reinhold Mitterlehner nannte den Sender gar vor laufender Kamera "Bestellfunk".

Geholfen hat all die Kritik allerdings nichts, der Kanzler nahm pünktlich um zehn Uhr Platz im Studio, um eine Stunde lang live von Ingrid Thurnher zum Thema Flüchtlingspolitik befragt zu werden. Zugeschaut haben durchschnittlich 600.000 Österreicher, also deutlich mehr als sonst. Im Vergleich zu den Auseinandersetzungen im Vorfeld verlief die Diskussion jedoch relativ unspektakulär: Faymann wiederholte, dass es eine "europäische Lösung" in der Asylpolitik brauche und dass eine Zusammenarbeit mit der Türkei anzustreben sei. Bei einer Visa-Freiehit im Tausch dafür sei er derzeit jedoch "skeptisch", sagte der Kanzler. Die Türkei sei generell "ein schwieriger Partner". Einmal mehr kritisierte Faymann die Visegrad-Staaten dafür, dass sie keine oder kaum Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Balkanroute muss zu bleiben

Den Kurs Österreichs, der letztendlich die Schließung der Balkanroute provoziert hat, verteidigte der SPÖ-Chef unterdessen wortreich: "Die europäische Lösung wäre Plan A, aber die gibt es derzeit nicht" - also musste man Plan B - "die schlechtere Lösung" - umsetzen und Grenzkontrollen einführen. "Ordnung", sagte der Kanzler, "muss schließlich sein". Europa sei noch keine Festung, "nur weil man wissen will, wer reinkommt". Die Balkanroute, die seit Kurzem geschlossen ist, müsse zu bleiben, sagte Faymann. Auch mögliche Ausweichrouten für Flüchtlinge, etwa über Italien, müsse man schließen. Der Kanzler bekrittelte zudem, dass Flüchtlinge sich weigern würden, in andere Länder als Deutschland, Österreich oder Schweden zu gehen. Das lange herbeigesehnte Verteilungssystem in den sogenanntten "Hotspots" werde dieses Problem irgendwann jedoch lösen, sagte er. Dass die Abschiebungen jener, die kein Asyl bekommen, kaum funktionieren, sei indes "ein Missstand, der behoben gehört".

Kursänderung "notwendig"

Letztlich musste Faymann, der vor gar nicht allzu langer Zeit noch strikt gegen Zäune und geschlossene Grenzen auftrat, auch seinen Kurswechsel in der Asylpolitik erklären: "Ich glaube nicht, dass wir 300.000 Menschen aufnehmen können, also war eine Kursänderung notwendig". Im Vorjahr habe man "Menschlichkeit" bewiesen und 90.000 Menschen aufgenommen.  Heuer wären es laut Faymann noch mehr - "und das schaffen wir nicht". Auf Druck der ÖVP, die schon im Sommer einen schärferen Asylkurs gefahren ist, sei dies allerdings nicht geschehen: "Das wäre eine Überschätzung des Koalitionspartners", sagte Faymann.