Die Kleine Zeitung diskutiert mit den Bundesparteichefs über ideologische Anker, die diese in den letzten Monaten selbst gesetzt haben.

Herr Bundeskanzler, Sie haben "Gerechtigkeit" plakatiert. Was ist gerecht?

WERNER FAYMANN: Gerecht ist, wenn alle Menschen die gleichen Chancen haben, wenn jeder Mensch gleich viel wert ist.

Eine Partei, die sich das auf die Fahnen schreibt, kann doch nur scheitern - oder sich mit dem Schlagwort zufriedengeben.

FAYMANN: Eine Partei tut gut daran, Werthaltungen zu haben. Und zu wissen, dass es keine Garantie dafür gibt, dass diese sofort Realität werden - womöglich noch mit Datum versehen.

" Zeit für Gerechtigkeit" klang schon wie ein Datum. Wo haben Sie Österreich gerechter gemacht?

FAYMANN: Wir haben so durch die Krise geführt, dass die Arbeitnehmer nicht übrig geblieben sind. Wir haben die Beschäftigung noch gesteigert. Es ist ungerecht, dass die Finanzhaie an der Krise noch verdient haben, aber zum Beispiel in Spanien junge Leute für die Krise bezahlen, indem sie keinen Job finden.

Sie haben also verhindert, dass Österreich ungerechter wird. Aber wo ist es gerechter geworden?

FAYMANN: Die letzten drei Bundeskanzler haben vermögensbezogene Steuern abgeschafft. Ich habe sie wieder eingeführt: die Bankenabgabe, Änderungen bei Stiftungs- und Konzernbesteuerung und die Wertpapiersteuer.

Das ist noch keine Systemänderung. Nun fordern auch der Bundespräsident und die Caritas Erbschaftssteuern. Werden auch Sie sich dafür ins Zeug legen?

FAYMANN: Diese Debatte lenkt nur ab. Ich will Steuern auf Vermögen über einer Million Euro. Wie läuft denn diese Diskussion? Die Gegner von Vermögenssteuern stellen jemanden aus der Mittelschicht als Schutzschild hin und behaupten: Den wird es treffen! Ich garantiere, wir werden niemanden, der einen kleinen Betrieb erbt, zur Kasse bitten. Gerade die Sozialdemokratie tut gut daran, den Häuselbauer zu beschützen, der nicht weiß, wie er seine Kredite zurückzahlen soll.

Dem Häuselbauer wäre mit einer geringeren Einkommenssteuer mehr geholfen als damit, dass seine Kinder in 40 Jahren keine Erbschaftssteuer zahlen.

FAYMANN: 2013 wollen wir prüfen, ob eine Steuerreform möglich ist. Ich will Einkommen von 2000 bis 4000 Euro brutto entlasten.

Wollen Sie Einkommenssteuer und Sozialversicherungsabgaben zu einem Tarif zusammenfassen, wie es das Wifo fordert?

FAYMANN: Vereinfachung ist immer richtig, unser Absetzungsdschungel nicht gut. Die Frage lautet: Wenn trifft's? Das lasse ich bis Jahresende durchrechnen. Das ganz gerechte Steuersystem gibt es nicht, aber zwischen dem Anspruch darauf und der hundertprozentigen Gerechtigkeit gibt es ja einen Spielraum.

Sind Sie für eine Abschaffung der Höchstbeitragsgrundlage, also dafür, dass man ohne Obergrenze umso mehr Sozialversicherung zahlt, je mehr man verdient?

FAYMANN: Ich würde sie lassen, wie sie ist. Ich will nicht, dass man bei den Lohnsteuerpflichtigen oder den Autofahrern abkassiert, nur weil das am einfachsten ist. Ich will, dass man sich überlegt: Wie erwischen wir auch jene, die es sich etwa mit Gruppenbesteuerung und Stiftungen richten können?

Ex-SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina hat im "Standard" gesagt, Ihre Millionärssteuer wäre "reiner Populismus", mit dem Bankgeheimnis nicht exekutierbar.

FAYMANN: Lacina ist ein Experte, aber er hat Vorteile für die Stiftungen eingeführt, die wir mühsam wieder reduzieren müssen. . .

Weil ausgemacht war, dafür die Erbschaftssteuer zu reformieren.

FAYMANN: Lassen Sie uns einmal erarbeiten, wie die Besteuerung von Millionenvermögen aussehen könnte, dann können Sie darüber urteilen. Die Menschen spüren: Uns trifft die Krise, aber an ein paar Leuten geht sie vorbei. Mir ist wichtig, dass wir da ausgleichen, sonst kann das in Aggression, ja, in Ablehnung der Demokratie umschlagen.

Zwei Drittel der Österreicher finden das Pensionssystem ungerecht. Warum nicht gleiches Recht für alle?

FAYMANN: Das Pensionssystem wird zusammenwachsen - aber langsamer, als uns allen lieb wäre. Einerseits haben die Leute Ansprüche erworben. Anderseits, zum Beispiel bei der Hacklerregelung, rechnen sie mit dem, was wir ihnen versprochen haben. Und, bedenken Sie: Zwei Drittel jener, die in die Invaliditätspension gehen, kommen aus dem Krankenstand.

Bernd Marin sagt dazu: "In Österreich gibt es kaum Invalide unter 50 und sehr gesunde Alte. Nur im Alter zwischen 50 und 65 passiert offenbar Schlimmes."

FAYMANN: Ich kann nicht beurteilen: "Du bist gar nicht krank, du hast kein Burn-out." Da vertraue ich den Ärzten. Wenn wir es schaffen, dass die Menschen länger gesund bleiben - natürlich würde mich das glücklich machen.

Finden Sie, Österreich ist seiner Jugend gegenüber gerecht?

FAYMANN: Ja, wenn wir für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sorgen und das faktische Pensionsalter erhöhen. Wenn ich junge Leute frage: Möchtest du, dass deine Mutter, dein Vater bis 70 arbeitet? Dann erklären sie mir: Aber sie finden ja keinen Job!

Bei Ihrem Gerechtigkeitssinn können Sie wahrscheinlich nicht mehr schlafen, wenn Sie an die Staatsschulden denken.

FAYMANN: Sicher bereitet mir das Sorgen. Bei den Steuern, bei den Pensionen gibt es immer diese Latte: Es muss finanzierbar sein. Sonst geraten wir in die Fänge der Ratingagenturen. Die setzen die Bonität eines Staates, der Probleme hat, hinunter, und verschärfen diese so. Die Behauptung aber, dann müssten die Bürger den Gürtel enger schnallen, ist falsch. Österreich hatte ein einziges Mal Probleme mit den Zinsaufschlägen - durch das Ostengagement der Banken.

Die Banken sind doch nicht schuld an den horrenden Schulden.

FAYMANN: Nein, aber für die Risiken, die sie im Ausland eingehen, haften wir alle. Trotzdem wird es mit mir kein Sparpaket geben. Wie wir das lösen wollen, habe ich ja schon skizziert.

Das letzte Buch von Rudolf Taschner heißt: "Gerechtigkeit siegt - aber nur im Film". Welches Filmende hat Sie berührt?

FAYMANN: "Das Leben ist schön" von Roberto Benigni. Die Demokratie siegt am Ende über den Faschismus, wenn auch unter entsetzlichen Opfern.

Darin schwindelt ein Vater seinem Sohn vor, ihre Gefangenschaft im KZ sei ein Spiel, um ihm die Wahrheit zu ersparen. Muss man sich an Illusionen klammern?

FAYMANN: Man muss an die Vision von Gerechtigkeit glauben. Auch im Kleinen: Als ich Staatssekretär Josef Ostermayer bat, die Ortstafeln zu verhandeln, konnte ich ihm auch nicht sagen: "Da kannst du nur gewinnen."