Mit fundamentaler Kritik an den Verhältnissen und einem eindringlichen Appell an die beiden einstigen Großparteien ÖVP und SPÖ lässt der frühere Landeshauptmann der Steiermark, Franz Voves, aufhorchen: In einem Gespräch mit der Kleinen Zeitung ruft der Ex-Politiker beide Fraktionen auf, die Gräben zu überwinden und bis Sommer Zukunftskonzepte für das Land vorzulegen. Voves spricht von einem parteiübergreifenden „Pakt der Vernunft“, an dem sich alle Interessierten und Fürsprecher der liberalen Demokratie beteiligen sollten, um dem fortschreitenden Vertrauensverlust der Politik entgegenzuwirken.

Er, Voves, habe großen Respekt vor parlamentarischen Kontrollinstrumenten, halte es aber für „selbstruinös und kopflos“, in einer Zeit, da das Ansehen der Politik ohnedies „am Nullpunkt“ angelangt sei, Untersuchungsausschüsse wie die gegenwärtigen im Vorfeld von Wahlen zum Einsatz zu bringen und sich gegenseitig „niederzuagitieren“. Voves: „In Anbetracht der großen, ungelösten Fragen und der Schieflage, in die Demokratien geraten sind, die Kräfte gegeneinander zu richten, ist in meinen Augen verantwortungslos“. Das gelte für die SPÖ wie für die ÖVP.

Gesucht: Politiker mit Wertekompass und Kompetenz

Voves vermisst da wie dort Politiker, die in der Lage seien, entlang eines Wertekompasses Perspektiven für die Zukunft des Landes in zentralen Schlüsselfragen zu erarbeiten, sei es bei der Sicherung der Pensionen oder der Finanzierung der Gesundheitsversorgung. „Wo sind die Politiker, die mit strategischer Kompetenz ausgestattet, mutige Überzeugungen formulieren? Wo sind die guten Erzähler, die in der Lage sind, das Notwendige populär zu machen und die Menschen mitzunehmen?“

Stattdessen huldige man dem kalkuliert Vordergründigen oder Klientel-Interessen, schaue der Spaltung in der Gesellschaft untätig zu oder leiste ihr Vorschub. Unverhohlen spricht sich Voves für ein „neu und in die Zukunft gedachtes“ Reformbündnis zwischen Volkspartei und Sozialdemokratie nach den Herbstwahlen aus: „Wann, wenn nicht jetzt, müssten insbesondere ÖVP und SPÖ bereit sein, Gräben zu überwinden und auf vertrauensvolle Zusammenarbeit zu setzen?“

Österreich wie Europa am Kipppunkt

Um Verlustängste und Pessimismus überwinden zu können, brauche es „die großen, mitreißenden“ Zukunftsentwürfe der Parteien, denen sich die Verunsicherten emotional anschließen können, mahnt Voves. Nicht nur Österreich stehe an einem Kipp-Punkt, auch Europa. Der Kontinent steuere auf die „schwerste Bedrohung für Frieden, Freiheit und Wohlstand seit Generationen“ zu. Zwei Faktoren, so Voves, seien für die Erschöpfungsphänomene in der Bevölkerung verantwortlich. Das sei zum einen der Dauerkrisenmodus („Ständig müssen neue Feuer ausgetreten werden“) und zum anderen der Eindruck bei vielen, vor allem jüngeren Bürgern, dass „gar keine Zukunft mehr auf sie zu warten scheint“, für die sich Engagement und Einsatz lohnen würden.

Dieses Grundgefühl einer Zukunftslosigkeit sei verheerend, so Voves, und Folge eines „politischen Versagens“: „Niemand denkt öffentlich über den Möglichkeitsraum Zukunft nach“. Insgesamt beklagt Voves, der als Quereinsteiger 2005 die Hegemonie der steirischen ÖVP brach und dreimal aus Wahlen als Stimmenstärkster hervorging, einen Qualitätsverlust der politischen Eliten: „Wir haben die schwierigsten Zeiten und die schwächsten Politiker, keine glückliche Konstellation“.