Der Eissalon Tichy am Reumannplatz ist beliebter Treffpunkt für Wiener. Selbst am Dienstagnachmittag ist die Schlange der Wartenden, die in der Mittagssonne ein Eis genießen wollen, meterlang. Mit seinem Retro-Flair und blau-weißem Dekor erinnert er an längst vergangene Zeiten und löst Nostalgie aus.

Doch der Schein der schönen, heilen Welt trügt. Am Sonntagabend wurde ein 21-jähriger Grundwehrdiener von einer Gruppe Jugendlicher mit einem Messer attackiert, als er einer Gruppe Frauen zu Hilfe kommen wollte. Nur einen Tag später besuchte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) den Reumannplatz. Seine Forderung: Mehr Polizeipräsenz. Kurz nach seinem Besuch kam es zu einer weiteren Messerstecherei.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) beim Lokalaugenschein am Reumannplatz
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) beim Lokalaugenschein am Reumannplatz © APA / Florian Wieser

„Ich fühle mich hier nicht sicher“, sagt Katharina Pantic, die vor dem Eissalon wartet – in den Medien bekomme man schließlich mit, wie gefährlich die Straßenzüge zwischen Kepler- und Reumannplatz sind. Polizei ist nur vereinzelt zu beobachten, auch wenn ein Einsatzwagen prominent vor dem Tichy parkt. „Seit Jahren fordern wir mehr Polizisten für Favoriten“, erklärt Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ), „Auf rund 220.000 Einwohner sollten wir 670 Polizisten haben. Es sind aber nur 319 Planstellen besetzt. Im aktiven Einsatz sind sogar noch weniger, nämlich 297. Und das ist mit Polizeischülern mitgerechnet.“

Drogenhandel am hellen Tag

Spaziert man durch die Favoritenstraße, gibt es einiges zu beobachten. Der Geruch nach Gegrilltem schwebt in der Luft und die Schanigärten sind auch am frühen Nachmittag bereits gut gefüllt. In so einem sitzt auch Robert. Er fühlt sich durch den florierenden Drogenhandel am Keplerplatz gestört: „Ich kann hier nicht vorbeigehen, ohne, dass mir Drogen angeboten werden.“ Jürgen Stein sitzt nur wenige Schritte weiter. Er fühlt sich sicher und findet nicht, dass die Gegend zur No-go-Area verkommt.

Jürgen fühlt sich sicher, rät aber zu Wachsamkeit
Jürgen fühlt sich sicher, rät aber zu Wachsamkeit © KLZ / Christoph Kleinsasser

Pädagoge Christian Holzhacker vom Verein Wiener Jugendzentren erklärt, dass man „nicht aus den Augen verlieren darf, dass wir es auch hier mit Menschen zu tun haben.“ Dass die einzige Reaktion auf problematische Jugendliche eine Anpassung des Strafrechts ist, sei zu einfach gedacht. Denn damit erzeugt man nur mehr jugendliche Straftäter: „Man muss ihnen Perspektiven geben, auf die sie hinarbeiten können.“

Angstzone für Frauen

In einer Bäckerei bereitet Sila mit geübten Handgriffen Kaffee zu. Die junge Frau ist oft alleine im Geschäft: „Als Frau hat man es hier schwer.“ Sie berichtet von sexuellen Übergriffen – seien es unangebrachte Sprüche oder Handgreiflichkeiten. Die Polizei sei da wenig Hilfe: „Es bringt aber nichts, wenn sie nur uniformiert kommt. Dann sind die Männer schneller weg, als man schauen kann.“ Sila weiß, dass die Männer, die am Nachmittag herumlungern, harmlos sind. Gefährlich wird es in der Nacht, dann sind Drogen und Waffen im Spiel.

Verlässt man die Bäckerei, sieht man den Schriftzug „Tichy“. Die Schlange ist immer noch da, es haben sich Schulkinder unter die Wartenden gemischt. Eine ganz normale Szene in einer Großstadt. Nur eben, dass dieses Bild immer wieder zerrissen wird.