Früher einmal kam die schärfste Kritik an den Parteien wenigstens von ihren härtesten Gegnern: Konservative hatten mit Parlamentarismus und Parteienstaat nichts am Hut und strebten nach der Volksgemeinschaft. Linke propagierten Fantastereien von Räterepubliken als Alternative zum verbürgerlichten parlamentarischen Parteienstaat.

Heute ist die Parteienkritik billiger zu haben, vor allem aus den Parteien selbst. Im Vorwort zum frisch gedruckten Buch „Wendepunkt“ von Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger liest man diese beklemmende Beschreibung der politischen Gegenwart aus der Mitte eben dieser Republik: „Wenn die gesamte Politzone zur Jauchengrube geworden ist, dann gewinnen die, die am lautesten brüllen und die niedrigsten Instinkte der Stammeszugehörigkeit ansprechen.“ Als ob sie es geahnt hätte, haben sich denn auch die eher konservativen Liberalen auf die doch eher linke Idee Meinl-Reisingers nach einem Grunderbe für alle 18-Jährigen in der Höhe von 25.000 Euro gestürzt.

Bemerkenswert ist, dass die Parteien das Leiden an sich selbst regelrecht kultivieren. Insbesondere der Verlust des jeweiligen Markenkerns wird oft beklagt. Das größte Echo erhalten dabei verlässlich diejenigen, die ihre eigene Partei kritisieren. Der Nörgler aus den eigenen Reihen mag intern unbeliebt sein, dafür sind ihm die Schlagzeilen und der Applaus der Konkurrenz gewiss.

Den eigenen Kritikern kann es keine Partei recht machen

Als der Vizepräsident des EU-Parlaments und fast lebenslange ÖVP-Politiker Othmar Karas im Oktober seinen Verzicht auf eine erneute EU-Kandidatur erklärte, begründete er dies so: „Die ÖVP ist nicht mehr die Europapartei und nicht mehr die Kraft der Mitte.“ Dass sich die Partei von Kanzler Karl Nehammer diese Generalabrechnung zu Herzen genommen hätte, und gerade deshalb am Freitag zur Kampagnenpräsentation unter dem Motto „Wir. Die Mitte“ lud, darf trotzdem ausgeschlossen werden.

Wobei die Kritik an der ÖVP aus der ÖVP fast schon zur Kernidentität dieser Partei zählt. Erinnert sei an dieser Stelle an die unerreichten Meister der ÖVP-Kritik wie Erhard Busek oder Heinrich Neisser, für die aber auch Reinhold Mitterlehner um Aufnahme ansucht. Immerhin zwei davon waren auch Obleute ihrer Partei, der dritte immerhin Minister, Klubobmann und Zweiter Nationalratspräsident. Für Nörgler-Nachwuchs sorgt dabei der erzwungene Abgang von Sebastian Kurz: Seitdem vermissen türkise ÖVPler wie Ex-Generalsekretärin Laura Sachslehner sehr zur Freude der FPÖ dessen klaren Rechtskurs.

An solche Zangenkritik von rechts wie links ist die SPÖ längst gewöhnt. Die Adressbücher der innenpolitischen Journalisten sind voll mit den Namen bekannt-berüchtigter SPÖ-Kritiker mit roter Gegenwart oder zumindest Vergangenheit. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil ist in dieser Liga seit Jahren der unerreichte Meister aller Klassen und der Tiroler Landeschef Georg Dornauer eine Nachwuchshoffnung mit Aufstiegsambitionen, dem kürzlich auch der Gewerkschafter Josef Muchitsch Konkurrenz machte. Wer dabei an der Spitze der SPÖ steht, ist fast egal, sei es die mittige Pamela Rendi-Wagner oder der deklarierte Linke Andreas Babler: Die echte Sozialdemokratie, das sind immer die anderen.

Nur in der Kickl-FPÖ herrscht Grabesruhe

Fast schon vergessen durch die Grabesruhe in der FPÖ unter Herbert Kickl ist die blaue Leidenschaft für interne Fraktionskämpfe um die Wahrheit, die die Freiheitlichen meinen. Legendär die Machtkämpfe zwischen den Liberalen und (Deutsch-)Nationalen in den 1980ern, zwischen den blauen Pro-Europäern und dem aufkommenden Österreich-Chauvinisten, zwischen dem alternden Jörg Haider und einem noch jugendlichen Heinz-Christian Strache. Am Ende traten die Verlierer fast immer den Exodus an und gründeten ihre eigenen Parteien, sei es das LIF oder das BZÖ.

Bei den Grünen schlugen dagegen von Anbeginn an zwei Herzen in der Brust: ein konservativ-konservierender Umweltschutz und eine gesellschaftspolitische Linke. Je nachdem, wer gerade intern den Ton angab, zog sich den Vorwurf des Verrats an den angeblich einzig echten grünen Ideen zu. Der Steirer Peter Pilz und der Salzburger Johannes Voggenhuber gingen als die wohl größten internen Nervensägen in die grünen Geschichtsbücher ein. Der Ausschluss der stramm linken Grünen Jugend vor rund zehn Jahren durch die damalige Parteichefin Eva Glawischnig bescherte damals ausgerechnet den Grazer Kommunisten einige talentierte Köpfe, darunter Kay-Michael Dankl, der nun dabei ist, die Salzburger Landespolitik auf den Kopf zu stellen.

Dass derzeit ausgerechnet bei den traditionell ganz besonders spaltungsbereiten Kommunisten keine Debatte über den echten, den einig wahren Weg in der KPÖ gibt, dafür in allen anderen Parteien eine umso heftigere, ist natürlich eine besondere ironische Wende unserer streitlustigen Gegenwart.