Trotz der Warnungen der heimischen Militärs vor der mangelnden Wehrfähigkeit des Bundesheeres angesichts der sich eintrübenden Sicherheitslage in Europa sieht Bundeskanzler Karl Nehammer keinen Grund, an der Dauer des Grundwehrdienstes etwas zu ändern. „Die Bereitschaft, das Vaterland mit der Waffe zu verteidigen, ist ein wichtiger Bestandteil einer wehrhaften Demokratie. Sechs Monate sind genug“, so Nehammer im Interview mit der Kleinen Zeitung.

Die Wiedereinführung von Milizübungen sieht Nehammer, der selbst Milizoffizier ist („meine Rolle ist ruhend gestellt“), skeptisch – allerdings aus Rücksicht auf die Wirtschaft: „Für den Arbeitsmarkt wäre ein solcher Schritt nachteilig. Angesichts des Arbeitskräftemangels würde das aktuell noch zusätzlich unsere Wirtschaft belasten. Man kann sich freiwillig verpflichten. Das Bundesheer muss derzeit sein Auslangen finden.“

Der ÖVP-Chef hält an Neutralität fest, räumt allerdings ein, dass diese kein Wundermittel ist: „Nur eine wehrhafte Demokratie kann seine Neutralität auch schützen. Daher braucht es die Verteidigungsbereitschaft und Wehrfähigkeit, die wir als Land auch selbst bereitstellen müssen.“ Er spreche lieber von Verteidigungsfähigkeit als von Kriegstauglichkeit. Als Russland die Ukraine überfiel, sei die EU „nicht auf den Krieg vorbereitet“ gewesen. „Wir sind, was die Rüstungsindustrie betrifft, in der Union schlecht aufgestellt. Da herrscht noch großer Nachholbedarf.“

Nehammer verteidigt seine im Österreich-Plan aufgestellte Forderung nach einer gesetzlichen Verankerung der Leitkultur. „Ich will nicht, dass die Radikalen das Thema Leitkultur besetzen, sagen, wie man sich hier zu verhalten hat, und dann daraus ein nationalistisches Modell machen. Wir müssen der von Hass getriebenen Diskussion ‚Wir gegen die anderen‘ Einhalt gebieten.“ Stattdessen sollten die Spielregeln aus der Mitte der Gesellschaft definiert werden.  

Wie die Leitkultur gesetzlich verankert wird, lässt der ÖVP-Chef offen: „Wer zu uns kommt, kommt freiwillig. Wem es bei uns nicht passt, soll woanders hingehen.“ Österreichs Gesellschaft sei vielfältig, die den Respekt, die Toleranz, die Gleichberechtigung von Mann und Frau einfordere. „Wir müssen uns überlegen, was wir tun, wenn Menschen unseren Wertekodex ablehnen. Das ist ein komplexes Unterfangen. Es ist nur notwendig, weil sonst das Grundverständnis nachlässt, dass wir Menschen aus anderen Kulturen bei uns aufnehmen, um hier zu arbeiten.“

Nehammer verteidigt das in seiner Welser Rede heraufbeschworene Duell mit FPÖ-Chef Herbert Kickl: „Ich bin Amtsinhaber, er fordert mich heraus. Das ist auch bei einem Boxkampf so.“ Er, Nehammer, scheue nicht die Diskussion. Im Unterschied zu Kickl trete er auch bei öffentlichen Veranstaltungen auf, der FPÖ-Chef begebe sich nur zu Parteiveranstaltungen.

Kickl könne kein Partner sein, weil mit ihm „kein Staat zu machen“ sei. „Er lebt die dunkle Erzählung, die Verschwörung. Wenn jemand sagt, er nimmt den Begriff ‚rechtsextrem‘ wie einen Orden, den er sich stolz umhängt, dann nimmt er sich aus dem Spiel.“ Dass der Österreich-Plan leichter mit der FPÖ als mit anderen Parteien realisierbar sei, will Nehammer so nicht gelten lassen. „Wer hätte uns zugetraut, dass wir mit einem links-alternativen Partner die kalte Progression abschaffen und die Körperschaftssteuer senken?“ Grünenchef Werner Kogler sei „auch bereit, das Land mit der Waffe zu verteidigen. Es gibt immer Momente, wo man sich dann trifft.“