Die „Sicherheitsdekrete“ waren die Grundpfeiler der migrationsfeindlichen Politik von Ex-Innenminister Matteo Salvini in Italien. 2018 und 2019 verfügte der Chef der rechten Lega und stellvertretende Ministerpräsident das Verbot der Hafen-Einfahrt von Schiffen, die Flüchtlinge im Mittelmeer aufgegriffen hatten. Die betreffenden Nichtregierungsorganisationen (NGO) mussten sich auf die Beschlagnahmung ihrer Boote gefasst machen. Auf die Verantwortlichen warteten drakonische Strafen in Höhe von bis zu einer Million Euro. Viele Italiener applaudierten Salvini für diese Gnadenlosigkeit, andere waren fassungslos angesichts der „Politik der geschlossenen Häfen“.

Nun hat die seit 13 Monaten amtierende Nachfolgeregierung nachgebessert. In einem Gesetzesdekret, das der Ministerrat am Montag verabschiedete und das innerhalb von 60 Tagen vom Parlament bestätigt werden muss, werden die Geldstrafen für Verstöße gegen die Schifffahrtsverordnung auf maximal 50.000 Euro reduziert. Die Beschlagnahme der NGO-Schiffe fällt ganz weg. Allerdings werden die Rettungs-Organisationen nach der neuen Gesetzgebung dazu angehalten, bei ihren Einsätzen die Seenotrettungsleitstelle in Rom sowie den Staat zu informieren, dessen Flagge das betreffende Schiff nutzt und die Anweisungen der „für Seenotrettung zuständigen Behörde“ zu befolgen. Bei Verstößen seien Haftstrafen von bis zu zwei Jahren sowie Geldstrafen zwischen 10.000 und 50.000 Euro möglich. Salvini hatte sich als Innenminister damals auch die Rechtsgewalt über die Entscheidung der Rechtmäßigkeit der Einfahrt von Rettungsschiffen in italienische Gewässer zugesichert. Diese Kompetenz geht nun zurück ans Verkehrsministerium, das sich mit dem Innenministerium sowie dem Verteidigungsministerium absprechen muss.

"Weder geschlossen noch offen"

Damit hat MinisterpräsidentGiuseppe Conte die Salvini-Dekrete zwar entschärft, aber nicht abgeschafft. „Weder geschlossene noch offene Häfen“, sagte Conte am Montagabend in einer ersten Stellungnahme, „sondern mehr Einklang mit der Verfassung und Sicherheit“.

Staatspräsident Sergio Mattarella sowie der Verfassungsgerichtshof hatten die Salvini-Dekrete als unverhältnismäßig kritisiert und Nachbesserungen verlangt. Insbesondere der linke Partito Democratico (PD) hatte vor der Regierungsbildung vor gut einem Jahr die Veränderung der Gesetze zur Bedingung für eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) gemacht. Die oft als linkspopulistisch bezeichneten „Grillini“ hatten zuvor mit der Lega eine Regierung gebildet und die Migrationspolitik Salvinis mitgetragen. Der parteilose, aber von M5S vorgeschlagene Ministerpräsident Conte war auch in jener Regierung Premier und hatte die damaligen Dekrete unterzeichnet.

Der Veröffentlichung der neuen Regelungen waren monatelange Verhandlungen vorausgegangen. Innenministerin Luciana Lamorgese (parteilos), frühere Polizeipräfektin von Mailand, verhandelte monatelang zwischen PD und Fünf-Sterne-Bewegung. Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete und inzwischen völlig zerstrittene Bewegung hatte sich lange gegen die Aufweichung der sogenannten Sicherheitsdekrete gewehrt. Sterne-Politiker befürchteten mit einem Umschwung in der Migrationspolitik bei den Wählern als unglaubwürdig zu erscheinen. Die von den Regionalwahlen vor zwei Wochen gestärkten Sozialdemokraten setzten sich in den Verhandlungen auch mit anderen Forderungen durch. Migranten können aus Italien fortan nicht mehr abgeschoben werden, wenn im Heimatland nicht nur wie bisher Folter, sondern auch „unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen“ drohen. Die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen für Migranten sowie die Einbürgerung sollen erleichtert werden.

Die 13-monatige Amtszeit der Koalition aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung mit Innenminister Salvini war geprägt von der Verschärfung des Asylrechts und der Kriminalisierung von Hilfsorganisationen. So erzwang die deutsche Kapitänin Carola Rackete im Juni 2019 die Landung der „Sea-Watch 3“ mit 40 geretteten Migranten auf Lampedusa und wurde dafür strafrechtlich verfolgt, letztlich aber freigesprochen. Salvini selbst ist derzeit in Catania wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch angeklagt, weil er im Juli 2019 dem Schiff der Küstenwache Gregoretti mit 131 aus Seenot geretteten Migranten die Einfahrt in den Hafen verweigerte. Premier Conte soll am 20. November als Zeuge aussagen.

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