Die Marathonsitzung dauerte fast bis fünf Uhr früh, dann konnte Ratspräsident Donald Tusk die erlösende Nachricht vom EU-Gipfel twittern: Die 28 Staats- und Regierungschefs hatten nach harter Debatte, die mehrmals - vor allem aufgrund der harten italienischen Position - vor dem Abbruch stand, ein Migrationspaket geschnürt. Für Bundeskanzler Sebastian Kurz, der eine Reihe seiner eigenen Forderungen in der Erklärung enthalten sieht, ist das „ein Schritt in die richtige Richtung“. Am Ende waren neben den Italienern auch Hardliner wie Ungarn und die Visegrád-Staaten sowie die von der Migration stark betroffenen Mittelmeerländer wie Griechenland und Malta mit dem Kompromiss einigermaßen zufrieden.

Keine Lösung gab es für die komplizierte Reform des Dublin-III-Vertrages, der das Migrationsprozedere regeln soll, aber zum Reibepunkt vor allem der geografisch hauptbetroffenen Mittelmeeranrainer geworden ist. Stattdessen hofft man zunächst auf freiwillige Vereinbarungen. Österreich, so Kurz, werde sich daran nicht beteiligen.

1. Ausschiffungsplattformen

Kernpunkt der Gipfel-Schlussfolgerungen ist die Einrichtung von „Ausschiffungszentren“, die in nordafrikanischen Ländern wie Marokko oder Tunesien unter Federführung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR und der Migrationsagentur IOM eingerichtet werden sollen. Alle Asylsuchenden müssten zur Erfassung und Entscheidung dorthin, ausdrücklich auch Bootsflüchtlinge. Damit will man den Schleppern die Geschäftsgrundlage entziehen. Parallel soll es innerhalb der EU auf freiwilliger Basis „Auffanglager“ geben, allerdings hat sich zunächst noch kein Land dafür gefunden. In beiden Fällen gibt es aber viele offene Fragen. Etwa welche rechtlichen Grundlagen bestehen oder ob es zu einem „Pull“-Effekt kommen würde. Völkerrechtler schlagen schon Alarm. Die Bedingungen in bestehenden Lagern, etwa auf griechischen Inseln, sind alles andere als gut.

2. Sekundärmigration

Ein großer Streitpunkt beim Gipfel; dabei geht es um Bewegungen von Flüchtlingen innerhalb der EU. Einerseits um die Länderquoten - diese zuletzt von Deutschland vertretene Lösung ist vom Tisch. Andererseits generell um die Frage, ob sich Flüchtlinge die Länder aussuchen können, in denen sie leben wollen. Angela Merkel hat nun mit einer Reihe von Staaten Kontakt wegen bilateraler Abkommen aufgenommen, Griechenland und Spanien erklärten sich etwa gestern bereit, erstregistrierte Flüchtlinge wieder zurückzunehmen. Im Gegenzug sollen Familienzusammenführungen leichter werden. Zur Vermeidung von Sekundärmigration sei „das Ergreifen von nationalen Maßnahmen ausdrücklich“ vorgesehen, sagte der CSU-Fraktionschef im Bundestag, Alexander Dobrindt, er sprach unbewusst aber das Problem an: Betroffene Länder müssen sich einig sein.

3. Außengrenzschutz

Von allen gefordert, eines der Kernthemen des österreichischen Ratsvorsitzes und verhältnismäßig leicht umzusetzen. Die Grenzschutzeinheit Frontex wird so rasch wie möglich von 1500 auf 10.000 Mann aufgestockt, allerdings bringt das nur dann etwas, wenn auch das Handlungsmandat gestärkt wird. Dazu gibt es Ausbildungsprogramme, an denen jetzt schon die libysche und ägyptische Küstenwache teilnimmt. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der am Gipfel teilnahm, sagte seine Unterstützung zu. Allerdings ist die Hauptstoßrichtung das Mittelmeer; die Balkanrouten sind zwar weitgehend dicht, aber niemand weiß, wie sich die Migrationsströme in Zukunft noch entwickeln können.

4. Geld für Afrika


Große Sorge herrscht über die Lage in vielen afrikanischen Ländern, wo politische Instabilität und Klimafolgen nach jüngsten Schätzungen bis zu zehn Millionen Menschen migrationsbereit machen. 500 Millionen Euro sollen nun in den Treuhandfonds für Afrika wandern; falls es zu den Sammelzentren kommt, werden die Länder nach dem Vorbild der Türkei ebenfalls Geld von der EU erhalten. Darüber hinaus arbeiten etwa der ÖVP-Europaabgeordnete Heinz Becker und andere an einem „Marshallplan“ für Afrika. Skeptiker befürchten, dass es unvorstellbar hoher Summen bedarf, um wirklich etwas zu erreichen - ganz abgesehen von der politischen Situation in vielen Ländern.