Es gibt viel zu besprechen. Politisch ohnehin immer, seit dem Krieg in der Ukraine umso mehr. Heute Morgen ist Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) zu einem Besuch in Kiew eingetroffen. Dort kommt es heute – im am tiefsten gelegenen Hotelkeller der Stadt – zum informellen Treffen der EU-Außenminister. Ein symbolischer Akt der Einigkeit – aus Prinzip. Informell, weil Sprechen ohne Umschweife, diskutieren ohne Tagesordnung, das Ausloten ohne vorgeschriebene Konversationstaktik. Darüber hinaus wird Schallenbergs Delegation sich heute mit der Abgeordneten Anastasia Radina (Regierungspartei) und dem Oppositionspolitiker Yaroslav Yurchyshy über den Kampf gegen die Korruption im Land austauschen. Am Nachmittag ist zudem ein Besuch bei freiwilligen Helfern des Roten Kreuzes geplant. Bereits gestern Sonntag war Schallenberg mit einer kleinen Journalistendelegation via Nachtzug über Polen in die Ukraine gereist.

Schallenberg im Nachtzug
Schallenberg im Nachtzug © Michael Gruber/BMEIA

Letzter Besuch im Juli 2022

Wie auch bei seinem letzten Besuch im Juli 2022 wurde die Reise des österreichischen Außenministers vorab aus Sicherheitsgründen nicht angekündigt. Der Krieg, er mag im herbstlichen Zentrum Kiews, wo Menschen in die Arbeit eilen und Jugendliche an der Bushaltestelle plaudern, in den Hintergrund gerückt sein; doch noch immer bahnen sich Drohnen ihren Weg ins Zentrum des Landes. Momentan fast wieder täglich.

Und trotzdem finden sich am heutigen Montag fast alle EU-Außenminister sowie EU-Außenbeauftragter Josep Borrell in Kiew ein. Ein derartiges Treffen von EU-Ministern in einem Drittland gab es noch nie – außer am Rande von UN-Versammlungen.

Skurriles Detail am Rande: Der schwedische Außenminister Tobias Billström ist nicht beim Treffen – er hat seinen Pass vergessen. Dem Vernehmen nach soll er von polnischen Grenzbeamten abgewiesen worden sein. 

Wie könnte eine Welt danach aussehen?

Vor den Gesprächen, bei denen es laut Borrell unter anderem um längerfristige Finanzierungszusagen für Militärhilfen und mit EU-Geld finanzierte Militärlieferungen gehen soll, gibt sich Außenminister Schallenberg direkt: "Wir müssen uns langsam die Frage stellen, wie eine Welt 'danach' aussehen könnte." Es brauche Verhandlungen, Garantiemächte und Sicherheitsgarantieren. "Diese beinhalten mitnichten eine Beistandspflicht", betont Schallenberg. Rückblick: Im Juni hatte Österreich gemeinsam mit anderen Mitgliedsstaaten wie Irland oder Malta beim EU-Gipfel ein Veto gegen konkrete Sicherheitszusagen eingelegt.

Auch kündigte Schallenberg an, Österreich werde weitere 100.000 Euro für den Internationalen Strafgerichtshof zur Verfügung stellen. Die Welt danach beinhaltet nicht zuletzt die internationale juristische Aufarbeitung der Kriegsgräuel. "Das ist eine völlig neue Dimension. Wir haben Tausende Terabytes an Fotos, Videos, Audioaufnahmen. So etwas gab es in einem Krieg noch nie", sagt Schallenberg.

Polnischer Außenminister ließ sich entschuldigen

So einig man sich in Kiew gibt, so groß sind die Differenzen mitunter. Dabei geht es vor allem um die Frage, inwieweit die Ukraine in Zukunft im Westen integriert werden soll. Zuletzt hing der Haussegen wieder gehörig schief. Wegen eines Streits über Getreidelieferungen klagte die Ukraine Polen vor dem Welthandelsgericht. Kurz war sogar von einem Stopp polnischer Waffenlieferungen an Kiew die Rede. Der Streit zwischen den Nachbarländern ist trotz mildernder Worte noch nicht ganz vom Tisch, lässt das Fernbleiben des polnischen Außenministers in Kiew vermuten. Er ließe sich aufgrund einer Covid-Erkrankung (wie auch der lettische Minister) entschuldigen.

Und auch zwischen Kiew und Brüssel gibt es Redebedarf. Denn die Ansichten über einen möglichen Beitrittskandidatenstatus gehen weit auseinander. Von einer graduellen (also schrittweisen) Eingliederung in die EU möchte die Ukraine nichts wissen. "Wir wollen vollwertiges Mitglied sein. Kein anderes Land hat so einen hohen Preis für seinen Willen bezahlt, um Mitglied der EU zu werden", betonte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal vor wenigen Tagen gegenüber "POLITICO".

Möglicher EU-Beitritt

Für Schallenberg fußt die Aussage auf einem "Missverständnis" aus vergangenen Zeiten. Für ihn ist klar: "Wir müssen uns verabschieden von diesem alten EU-Denken." Es sei klar, dass der Beitrittsprozess der Ukraine lange Zeit in Anspruch nehmen wird. Nach außen hin könne die Ukraine – trotz andauernder Gespräche und Unterschiede – dennoch als Teil der EU Richtung Westen rücken. Etwa im Binnenmarkt. Mit Blick auf einen möglichen EU-Beitritt der Westbalkanländer ergänzte der Außenminister: "Ich möchte keine Farm der Tiere, wo alle gleich sind, aber manche gleicher."