Angesichts wieder verstärkter russischer Angriffe auf Bachmut wird die Lage der ukrainischen Streitkräfte dort immer prekärer. Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete erstmals vage einen möglichen Rückzug an. Die ukrainische Führung ist eigenen Angaben zufolge zudem nach einer geplanten Frühjahrsoffensive zu Gesprächen mit Russland über die Krim bereit. Unterdessen wurde offenbar der für die Heeresgruppe Ost der russischen Streitkräfte zuständige Kommandant abgesetzt.

Die ukrainischen Truppen befinden sich im Kampf um die Stadt im Donbass nach den Worten Selensykyjs in einer schwierigen Lage. Selenskyj betonte: "Für mich ist das Wichtigste, dass wir unsere Soldaten nicht verlieren, und natürlich werden die Generäle vor Ort die richtigen Entscheidungen treffen, wenn sich die Lage weiter zuspitzt und die Gefahr besteht, dass wir unsere Leute verlieren, weil sie eingekesselt werden." Nach Angaben des ukrainischen Militärs vom Donnerstagmorgen verstärken die russischen Streitkräfte ihre Angriffe mit der Absicht, die Stadt in der Ostukraine vollständig einzunehmen.

Wagner Chef zu Bachmut: "Feind ist noch nicht gegangen"

Bachmut sei zusammen mit den südwestlich gelegenen Ortschaften Awdijiwka und Marjinka derzeit "das Epizentrum der Feindseligkeiten", teilte das ukrainische Militär mit. Die Regierung in Kiew hat bisher betont, an Bachmut festhalten zu wollen. "Bachmut hat die wichtige Aufgabe, Russland so viele Verluste wie möglich zuzufügen und vor allem einen Gegenangriff vorzubereiten", der Ende April erwartet werde, erklärte der Militäranalyst Pavel Naroschny im ukrainischen "NV Radio".

Bachmut ist nach den Worten des russischen Söldnerführers Jewgeni Prigoschin noch teilweise in der Hand ukrainischer Truppen. "Es muss klar gesagt werden, dass der Feind noch nicht gegangen ist", schriebt der Chef der Wagner-Söldner-Gruppe am Donnerstag auf Telegram.

Strategische Ziele auf dem Schlachtfeld

"Wenn wir auf dem Schlachtfeld unsere strategischen Ziele erreichen und an die Verwaltungsgrenzen der Krim gelangen, so sind wir bereit, die diplomatische Seite zu öffnen und die Sache zu bereden", sagte indes der stellvertretende Chef des Präsidentenbüros in Kiew, Andrij Sybiha, der "Financial Times" am Donnerstag. Zuvor hatte Selenskyj Verhandlungen mit Moskau abgelehnt, so lange sich noch russische Soldaten auf ukrainischem Gebiet befinden – inklusive der bereits 2014 von Russland annektierten Halbinsel Krim.

Erster diplomatischer Vorstoß

Sybihas Äußerungen seien der erste diplomatische Vorstoß Kiews seit dem Abbruch der Waffenstillstandsverhandlungen vor einem Jahr kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, schrieb die Zeitung. Militärexperten erwarten in diesem Frühjahr eine Offensive der ukrainischen Truppen, um von Russen besetzte Gebiete zurückzuerobern. Als wahrscheinlichste Stoßrichtung gilt dabei ein Vorgehen im Süden des Landes auf die Küste zu, um einen Keil zwischen die dort stationierten russischen Truppen zu treiben. Allerdings ist unklar, ob die vom Westen an Kiew gelieferten Waffen ausreichen werden, um den Erfolg eines solchen Einsatzes zu gewährleisten.

Krim-Eroberung nicht ausgeschlossen

Nach Angaben Sybihas schließt Kiew eine militärische Eroberung der Krim dabei nicht aus. Westliche Militärexperten befürchten aber, dass dies zu einer erheblichen Eskalation des Krieges führen und Kremlchef Wladimir Putin gar zum Einsatz von Atomwaffen provozieren könnte, da Moskau die strategisch wichtige Halbinsel als eigenes Staatsgebiet betrachtet. Die Atommacht hatte stets betont, die Krim mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.

Russland hat am Donnerstag nach eigenen Angaben das Eindringen von ukrainischen "Saboteuren" verhindert. Die 20 Menschen umfassende Gruppe habe versucht, in der Nähe des Dorfes Slutschowsk in der Region Brjansk nahe der Grenze zur Ukraine nach Russland zu gelangen, teilte der Gouverneur der Region, Alexander Bogomas, im Onlinedienst Telegram mit. Der Geheimdienst FSB habe dies vereitelt.

"Ranghöchste russische Militärentlassung im Jahr 2023"

Nach schweren Niederlagen der russischen Truppen in der Ostukraine gibt es Berichte in russischen sozialen Netzwerken, wonach Generaloberst Rustam Muradows abgelöst wurde. Diese Berichte seien "höchstwahrscheinlich" richtig, erklärte das Verteidigungsministerium in London am Donnerstag unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse. "Es handelt sich um die bisher ranghöchste russische Militärentlassung im Jahr 2023, aber weitere sind wahrscheinlich, da Russland seine Ziele im Donbass weiterhin nicht erreicht", hieß es weiter.

Offiziell gibt es in Moskau keine Informationen zur Entlassung Muradows. Über die Ablösung des 50-jährigen Generals hatten aber bereits Ende März russische Militärblogger berichtet, darunter auch der kürzlich bei einem Sprengstoffanschlag getötete kremlnahe Wladlen Tatarski. Daneben berichtete das unabhängige Portal Moscow Times unter Berufung auf eigene Informanten beim Militär über die Abberufung Muradows. Als Grund wurden Misserfolge bei der Eroberung der ostukrainischen Stadt Wuhledar genannt. Im Gegensatz dazu betonte der Chef der Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, der Offizier sei nach der Operation zum Generaloberst befördert worden.