Sergej Ivanov, 45 Jahre Lehrer, Schulleiter und Soldat

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Vor dem Krieg war Sergej Ivanov Schulleiter, Physiklehrer und verheirateter Familienvater in Odessa und führte ein ganz normales Leben. Dann kam die Invasion – und er gab seinen Wunsch bekannt, freiwillig an die Front zu gehen. Man nahm ihn auf, obwohl er bislang keine militärische Erfahrung hatte. Ivanov war in der ersten Welle der Freiwilligen, die gesagt hatten, ihre Heimat verteidigen zu wollen. Später wurde dann ein Gesetz verabschiedet, wonach Menschen ohne militärische Erfahrung nicht an die Front dürfen.

So begann ein Leben im Krieg: Von April bis November des vergangenen Jahres absolvierte er einen Militärdienst an der Küste, nun befindet er sich in Odessa. Einzelheiten über seine Tätigkeiten darf er naturgemäß nicht bekanntgeben. Physisch und psychisch sind die Anforderungen extrem, Ivanov muss oft mit wenigen Stunden Schlaf pro Tag auskommen. Kriegskameraden wurden dem Vater eines Sohnes zu echten Freunden. der Lehrer betont, dass ihm seine Physikkenntnisse manchmal auch im Krieg helfen. Ständig informiert sich der Pädagoge darüber, was in der Schule passiert. Einmal konnte er zu einer kleinen Weihnachtsfeier kommen, Ivanov überraschte als Weihnachtsmann – niemand hatte den Schulleiter zuerst im Kostüm erkannt.

Oleksandr Kovalsky, 17 Jahre, Student

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"Ich wohne in Odessa und studiere an der Nationalen Universität ('Juristische Akademie von Odessa') an der Fakultät für Cybersicherheit und Informationstechnologien, Fachrichtung 'Computerwissenschaften'. Ich möchte Programmierer werden. Wir haben einen Luftschutzkeller , wo wir uns bei einem Luftangriff verstecken können. Es gibt aber auch die Möglichkeit, Vorlesungen online zu besuchen, falls man Angst hat oder zu Hause studieren will. Manchmal wird der Unterricht durch die Luftalarme unterbrochen.

Warum bin ich trotz des Krieges in der Ukraine geblieben? Erstens ist meine Liebe zur Heimat stärker als meine Angst vor den Kriegsfolgen: Ich bin hier aufgewachsen, fast alle meine positiven Erfahrungen sind mit der Ukraine und insbesondere mit Odessa verbunden, viele meine Freunde kommen aus der Ukraine, deshalb bedeutet mein Heimatland für mich sehr viel. Ich verstehe, dass heutzutage das Leben in meiner Heimat und Kriegsstress Hand in Hand gehen. Und wenn ich aus der Ukraine fliehen würde, könnte ich diesen Stress teilweise abbauen und mehr Freude haben. Das ist aber nicht überzeugend für mich.

Zweitens, ist das Leben als Flüchtling nicht so einfach. Man muss sich an die neue Kultur gewöhnen, sich um die Unterkunft kümmern, neue Ausbildungsmöglichkeiten und/oder einen Job suchen, um nicht auf Kosten anderer Bürger zu leben. Alle diese Probleme sind nicht so schnell zu lösen und sprechen gegen die Flucht.

Wie habe ich mich während des Krieges verändert? Diese Situation bestärkte mich in meinem Wunsch, zu studieren und zu arbeiten, um für möglichst viele Situationen gewappnet zu sein und anderen im Notfall zu helfen. Außerdem denke ich seit dem Beginn des Krieges viel häufiger daran, dass in der Welt noch viele Länder im Krieg sind. Für die Menschen bedeutet das: unendliches Leid.

'Die Menschheit muss dem Krieg ein Ende setzen, oder der Krieg setzt der Menschheit ein Ende', hat einmal John F. Kennedy gesagt und ich bin mit ihm völlig einverstanden. Ich habe noch einen Wunsch Ich träume davon, dass meine Freunde wieder in die Ukraine zurückkommen. Als der Krieg begonnen hat, war ich in derMaturaklasse. Alle meine Freunde sind damals in andere Länder geflohen und ich sehne mich jeden Tag nach einem Wiedersehen mit ihnen."

Svetlana Morshneva, 49 Jahre, Endokrinologin

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"Als der Krieg begonnen hat, war ich in Odessa. Ich war zuerst schockiert, habe nicht verstanden, was passiert - und ich hatte Angst! Explosionen vor dem Fenster zu hören, zu verstehen, dass man jederzeit sein Zuhause und seine Lieben verlieren kann. Krieg ist Elend, Verwüstung und Verlust.

Nicht nur ich, sondern meine Eltern, mein Bruder und meine Schwester sind Ärzte, sowie meine Tochter und meine Nichte, die sich für diesen schwierigen und verantwortungsvollen Beruf entschieden haben. Unser gemeinsamer Wunsch, kranken Menschen zu helfen, vor allem in einer so schwierigen Zeit für unser Land - das war der Grund, in meiner Heimatstadt zu bleiben und alle Härten der Kriegszeit gemeinsam zu ertragen. Schwerer chronischer Stress unter den Menschen, die in der Ukraine geblieben sind, ist die Hauptursache für neue Krankheiten, aber auch für die Verschlimmerung bereits bestehender. Daher ist die Zahl der Menschen, die medizinische Hilfe suchen, gestiegen. Außerdem gibt es in unserer Region eine große Zahl von Flüchtlingen, die ebenfalls eine qualifizierte medizinische Versorgung benötigen.

Von den Menschen in unserem Land gebraucht zu werden, denen zu helfen, die in Not sind, sowie das Gefühl der Pflicht, der Verantwortung und der Glaube an den Sieg der Ukraine helfen uns zu leben, zu überleben und durchzuhalten! Auch wenn es ab und zu Explosionen gibt, auch wenn wir Angst haben oder es gefährlich wird: Wir bleiben bei den Patienten.
Der Beruf des Arztes erfordert ständiges Lernen und die Anwendung des erworbenen Wissens in der Praxis, und trotz der schwierigen Zeit kann ich meine Kenntnisse durch die Teilnahme an Konferenzen und Kongressen, die in der Ukraine und im Ausland stattfinden, nicht nur erhalten, sondern auch verbessern.

Als Kind hörte ich oft den Wunsch meiner Großeltern, die die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erlebt hatten: "Hauptsache, es gibt keinen Krieg!" Und erst jetzt verstehe ich die Relevanz und Bedeutung dieser Worte.
Ich wünsche allen von ganzem Herzen einen friedlichen Himmel und hoffe auf eine glückliche Zukunft auf unserer ukrainischen Erde!"