Geht der Ukraine bald die Munition aus? Der Chef der Nato schlägt Alarm: "Der Krieg in der Ukraine verschlingt eine enorme Menge an Munition und erschöpft die Vorräte der Verbündeten", sagte Jens Stoltenberg kürzlich. Das Produktionstempo in den Ländern der Allianz könne nicht mit dem Bedarf der ukrainischen Armee Schritt halten. "Das setzt unsere Verteidigungsindustrie unter Druck", fügte er am Vorabend des Treffens der Nato-Verteidigungsminister hinzu.

Munitionsvorräte stark beansprucht

Am Dienstag sagte Deutschland dann zu, erstmals wieder die dringend benötigte Munition für den Flugabwehrpanzer "Gepard" zu produzieren, der in der Ukraine im Einsatz ist. Die Verträge mit den Herstellern seien unterschrieben, sagte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Denn die Munitionsvorräte für den Panzer liegen größtenteils in der Schweiz, die einer Weitergabe an die Ukraine aus Gründen ihrer Neutralität bisher nicht zugestimmt hat.

Verlässliche Zahlen liegen nicht vor, aber beide Seiten verbrauchen sehr viel Munition in dem Krieg, der sich in die Länge zieht, der von Schützengräben und dauerndem Artilleriefeuer geprägt ist. Im Juli hätten die Russen bis zu 50.000 Granaten pro Tag abgefeuert, die Ukrainer bis zu 6000, hieß es in französischen Militärkreisen. Seit der ukrainischen Gegenoffensive aber sei der Verbrauch stark angestiegen – und werde noch weiter steigen, um der erwarteten russischen Offensive standzuhalten.

Kiew fordert immer mehr Waffen und Munition. Kürzlich kamen Zusagen für die Lieferung von Kampfpanzern. Kiew hofft außerdem auf mehr Boden-Luft-Abwehrsysteme und Kampfflugzeuge, zu deren Lieferung der Westen sich bisher nicht durchgerungen hat. "Bevor wir über Flugzeuge und Panzer sprechen, sollten wir versuchen, das bereits gelieferte Material einsatzfähig zu halten", heißt es nicht nur in französischen Regierungskreisen.

Die USA haben nach Angaben ihres Außenministeriums bereits mehr als 1600 Stinger-Flugabwehrraketen und mehr als 8500 Javelin-Panzerabwehrraketen geliefert. Dies entspreche der Produktion von fünf Jahren im Fall der Javelin und 13 Jahren im Fall der Stinger, sagt Greg Hayes, Chef des US-Konzerns Raytheon, im Dezember. Gemeinsam mit Lockheed Martin sei die Produktion von Javelin-Raketen auf 400 Stück pro Monat erhöht worden.

In Frankreich verfügt Nexter über eine jährliche Produktionskapazität von einigen Zehntausend 155-mm-Granaten. Aber der Konzern ist "fast am Limit", wie ein hochrangiger französischer Beamter sagt. Dies ist auch eine Folge der drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall, in denen der Westen die Militärausgaben gekürzt hat. Die Wirtschaft sei von der Friedensdividende geprägt gewesen, sagt Ivan Klyszcz vom Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit (ICDS) in Estland. Dieses Modell werde heute "durch die aktuellen Herausforderungen in die Enge getrieben", sagt er.

Macron sprach von "Kriegswirtschaft" 

"Unsere Industrie für Verteidigung, Munition, logistische Unterstützung und Ausbildung ist weitgehend unzureichend", sagt William Alberque vom Internationalen Institut für strategische Studien. "Wir brauchen einen Industrieplan für den Westen, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für zukünftige Probleme wie Taiwan und andere potenzielle Kriege", betont er. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte sehr bald nach der russischen Invasion in der Ukraine von der Notwendigkeit einer "Kriegswirtschaft" gesprochen. Dem folgten jedoch wenig Taten.

"Die Fähigkeit, (die Bestände) aufzufüllen, wird aufgebaut. Danach hängt es davon ab, ob die Staaten bereit sind, die finanziellen Anstrengungen zu unternehmen", sagt Léo Péria-Péigné, vom französischen Institut für internationale Beziehungen (Ifri).