Die Zahl der geborgenen Leichen aus dem von einer Rakete getroffenen Gebäudes erhöhte sich bis zum Abend auf 30. Nach offiziellen Angaben wurden mehr als 70 Menschen verletzt, ein Dutzend befindet sich demnach in ernstem Zustand. Um die 40 werden noch vermisst. Rettungskräfte berichteten, unter den Trümmern schrien noch immer Menschen.

Auch wegen der Kälte wachse die Sorge um die Verschütteten, hieß es. "Verbrennt in der Hölle, russische Mörder", schrieb der Vorsitzende des regionalen Rates, Mykola Lukaschuk, auf Telegram nach dem Angriff vom Samstag. Präsident Wolodymyr Selenskyj bekundete den Hinterbliebenen sein Beileid – und forderte Vergeltung. "Leider wird die Liste der Toten stündlich länger ... Mein Beileid geht an Verwandte und Freunde", sagte er. Zugleich forderte der Staatschef erneut mehr Waffen des Westens für sein Land.

Ein Teil des mehrstöckigen Gebäudes war vollständig zerstört worden. Rettungskräfte arbeiteten die ganze Nacht durch. Sie berichteten, sie hätten unter den Trümmern Menschen um Hilfe schreien gehört. Nach offiziellen Angaben wurden bis Sonntagfrüh 38 Menschen, darunter sechs Kinder, gerettet. Der ukrainische Generalstab erklärte, Russland habe am Samstag drei Angriffswellen gestartet und dabei unter anderem 57 Raketen eingesetzt. 26 davon seien von der Luftabwehr abgeschossen worden.

Die Präsidialverwaltung in Kiew veröffentliche Aufnahmen von dem in Trümmern liegenden Gebäude. Der Leiter des Präsidialamts, Andrij Jermak, zeigte sich entsetzt: "Russen sind Terroristen, die bestraft werden für alles. Alle – ohne Ausnahme." Er sagte, dass die Flugabwehr und Luftstreitkräfte ihre Arbeit erledigten. "Wir werden zurückschlagen." Der Feind ändere seine Taktik nicht und setze seine Schläge gegen die zivile Infrastruktur fort.

Mehrere Angriffe am Samstag

Der Angriff auf das im zentralukrainischen Gebiet Dnipropetrowsk gelegene Dnipro war der folgenreichste von mehreren Angriffen am Samstag. Im ganzen Land galt zeitweise Luftalarm. Es war der erste russische Großangriff dieser Art seit dem Jahreswechsel. Nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform kamen abseits des Angriffs auf das Wohnhaus landesweit mindestens 26 Zivilisten ums Leben, mehr als 80 wurden demnach verletzt. Die Führung in Kiew verurteilte die Angriffe scharf und sprach einmal mehr von "russischem Terror".

Russlands Verteidigungsministerium äußerte sich nicht zu den vielen zivilen Opfern. Stattdessen sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow am Sonntag mit Blick auf die jüngsten Angriffe lediglich: "Alle ausgewiesenen Objekte wurden getroffen. Das Ziel des Schlags wurde erreicht." Unklar blieb die Lage im besonders umkämpften Soledar und Bachmut im Osten der Ukraine.

Moskau erklärte lediglich, es seien Geländegewinne im Raum Bachmut gelungen, russische Soldaten näherten sich den nördlichen Vororten der Stadt. Präsident Wladimir Putin zeigte sich zufrieden und sprach von einem positiven Trend. "Ich hoffe, unsere Kämpfer werden uns mit mehr Ergebnissen ihrer Gefechte erfreuen", sagte er im Sender Rossija 1. Alles laufe nach Plan.

Schwere Explosion in russischer Kaserne

Infolge einer schweren Explosion wurden unterdessen in einer Kaserne in der westrussischen Region Belgorod drei Soldaten getötet und 16 weitere verletzt. Acht weitere Männer werden laut russischen Medien seit dem Vorfall, der sich bereits am Samstag in der an die Ukraine grenzenden Region ereignete, vermisst.

Den Angaben zufolge hatte ein Unteroffizier versehentlich eine Handgranate zur Detonation gebracht, woraufhin in dem Gebäude ein Feuer ausbrach. Er selbst erlitt schwere Verletzungen und wurde in ein Krankenhaus gebracht, meldete die staatliche russische Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf Rettungsdienste. Das Internetportal Baza wiederum berichtete, der Mann habe in einem zum Militärquartier umfunktionierten Kulturzentrum unweit der Stadt Korotscha mit der Granate hantiert, um sich vor ihm unterstellten Militärangehörigen Autorität zu verschaffen.

Stoltenberg: Mehr Waffenlieferungen an Kiew

Die Ukraine sollte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zufolge mit den Waffen ausgestattet werden, die sie brauche, um zu gewinnen. "Wir sind in einer entscheidenden Phase des Krieges", sagt er dem deutschen "Handelsblatt". Militärische Unterstützung sei der schnellste Weg zum Frieden. "Die jüngsten Zusagen für schweres Kriegsgerät sind wichtig - und ich erwarte schon in naher Zukunft mehr."

Mit einer Normalisierung des Verhältnisses zu Russland rechnet er auch nach einem Ende des Krieges nicht, zumindest so lange Präsident Wladimir Putin im Amt sei. Putin wolle ein anderes Europa. "Er will ein Europa, in dem er Nachbarn kontrollieren kann. Demokratie und Freiheit betrachtet er als eine Bedrohung für sein Regime."