Nach tagelangen schweren Kämpfen um die ostukrainische Stadt Soledar haben Angehörige der berüchtigten russischen Söldnertruppe Wagner die Eroberung des Ortes verkündet. Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin teilte am Dienstagabend nach Angaben der russischen Staatsagentur Tass mit, dass Soledar erobert sei. Im Zentrum des Ortes sei noch eine Gruppe ukrainischer Soldaten eingekesselt. Ukrainische Militärbeobachter bezeichneten die Äußerung als "billige Propaganda".

Die ukrainischen Einheiten hätten sich auf neue Positionen zurückgezogen und von einer Einschließung könne keine Rede sein. Eine offizielle Erklärung der ukrainischen Führung blieb zunächst aus. Auch das russische Militär gab dazu keine offizielle Erklärung ab.

Strategische Bedeutung

Rund zehneinhalb Monate nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sind die Kämpfe in Donezk derzeit besonders heftig. Die Städte Soledar und Bachmut sind dabei von strategischer Bedeutung: Sie sind Teil des ukrainischen Verteidigungswalls vor dem Ballungsraum zwischen Slowjansk und Kramatorsk. Die Einnahme des Gebiets wäre aus russischer Sicht ein bedeutender Schritt hin zur Eroberung des gesamten Donbass - eines der Kriegsziele des Kremls.

Neben regulären russischen Truppen kämpfen bei Soledar auch verschiedene Söldner-Einheiten, darunter auch die berüchtigte Wagnergruppe. "Die Zahl der Kriegsgefangenen wird morgen mitgeteilt", wurde Prigoschin auf einem der Wagner-Kanäle auf Telegram zitiert. Dort hieß es zudem, den eingekesselten ukrainischen Soldaten sei ein Ultimatum zur Kapitulation bis Mitternacht gestellt worden. Die Angaben konnten zunächst nicht unabhängig geprüft werden.

Von ukrainischer Seite gab es dazu zunächst keinen Kommentar. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in seiner abendlichen Ansprache erklärt, Bachmut und Soledar würden weiter verteidigt werden. Soledar sei weitgehend zerstört und das Land mit russischen Leichen übersät.

In Soledar halten sich aktuell noch über 500 Zivilisten auf, wie der ukrainische Militärverwalter der Region Donezk, Pawlo Kirilenko, am Dienstagabend mitteilte. "Einige von ihnen würden die Stadt gerne sofort verlassen, das ist wegen der intensiven Kampfhandlungen zur Zeit nicht möglich", sagte er im Fernsehen. "Solange es keinen sicheren Weg aus der Stadt gibt, gibt es keine Evakuierung."

Das britische Verteidigungsministerium war bereits davon ausgegangen, dass die russische Armee und Wagner-Söldner den größten Teil der kleinen Salzabbaustadt unter ihrer Kontrolle hätten. Die Salzminen befinden sich in den Vororten der Stadt. Aus Washington verlautete, dass Prigoschin möglicherweise die persönliche Kontrolle über die Minen in der Region anstrebt.

Am frühen Abend hatte die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar von heftigen Sturmangriffen russischer Truppen berichtet. "Die schweren Kämpfe zur Verteidigung von Soledar dauern an", teilte sie auf Telegram mit. "Ohne Rücksicht auf seine Verluste greift der Feind weiterhin an." Das Vorfeld der ukrainischen Verteidigungslinien sei "mit Leichen der Angreifer übersät".

Ausbürgerungen

Der ukrainische Präsident Selenskyj bürgerte unterdessen vier prorussische Parlamentsabgeordnete aus. "Wenn Volksvertreter beschließen, nicht dem ukrainischen Volk zu dienen, sondern den Mördern, die in die Ukraine gekommen sind, dann werden unsere Schritte angemessen sein", sagte der 44-Jährige am Dienstag in seiner täglichen Videoansprache. Die Ausbürgerung sei gemäß der Verfassung auf Basis von Informationen des Geheimdienstes SBU und des Migrationsdienstes getroffen worden, sagte Selenskyj. "Unsere Dienste funktionieren."

Der ukrainische Pass wurde dabei dem Abgeordneten Viktor Medwetschuk entzogen, der im September im Rahmen eines Gefangenenaustausches nach Russland gelangte. Die anderen drei Betroffenen werden ebenfalls im Nachbarstaat vermutet. Alle vier vertraten die nach dem russischen Einmarsch vom Februar 2022 verbotene Partei "Oppositionsplattform - Für das Leben". Bei allen vier Parlamentsabgeordneten wird eine vorhandene russische Staatsbürgerschaft vermutet. Ausbürgerungen von politisch unliebsamen Personen waren unter Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko und in der Sowjetunion ein gängiges Mittel.