Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj strebt einen Kompromiss mit Moskau im Donbass an. Er verstehe, dass es unmöglich sei, Russland vollständig aus dem ukrainischen Gebiet zu verdrängen, da dies zu einem Dritten Weltkrieg führen würde. Die von Russland geforderte Neutralität will die Regierung in Kiew "gründlich" prüfen, so Selenskyj am Sonntag in einem Interview mit mehreren unabhängigen russischen Medien. "Dieser Punkt der Verhandlungen ist für mich verständlich."

Allerdings könnten über einen möglichen neutralen Status letztendlich nur die ukrainischen Bürger per Referendum entscheiden, postulierte Selenskyj erneut. Eine Neutralität der Ukraine ist eine der russischen Hauptforderungen in den Verhandlungen über einen Waffenstillstand, der Kreml hatte unlängst das Modell Österreichs oder Schwedens als mögliches Vorbild genannt.

Interview mit Journalisten aus Russland

In dem Interview mit russischen Journalisten warf Selenskyj Kremlchef Wladimir Putin eine Verzögerung der Friedensverhandlungen vor. In dem rund eineinhalbstündigen Video-Gespräch, das etwa das kritische Portal Meduza am Sonntagabend veröffentlichte, forderte er einmal mehr einen Abzug russischer Truppen von ukrainischem Territorium. Erst dann könne es Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, die wiederum Grundlage für den von Moskau geforderten Nato-Verzicht der Ukraine seien, betonte der ukrainische Staatschef.

Zu den russischen Journalisten, die das Interview führten, gehörte auch ein Reporter der bekannten Moskauer Tageszeitung "Kommersant". Zudem wurde eine Frage im Namen des Chefredakteurs der oppositionellen "Nowaja Gaseta", Dmitri Muratow, gestellt. Beide Blätter veröffentlichten Selenskyjs Äußerungen nach Drohungen der russischen Medienaufsicht zunächst nicht.

Kiew befürchtet Zuspitzung der Lage rund um Mariupol

Nach der Ankündigung Russlands, sich im Ukraine-Krieg künftig auf die "Befreiung des Donbass" konzentrieren zu wollen, befürchtet die Regierung in Kiew eine Zuspitzung der Lage in Mariupol und im Osten des Landes. "Dies bedeutet eine potenzielle oder starke Verschlechterung rund um Mariupol", so der ukrainische Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch in einer auf dem Telegram-Konto des Präsidenten veröffentlichten Botschaft. Kiew warf Moskau eine "unmenschliche Taktik" vor.

Kiew und Moskau wollen in der Türkei verhandeln

Nach rund zweiwöchigen Friedensverhandlungen im Online-Format wollen die Delegationen aus der Ukraine und Russland indessen nun wieder persönlich zusammenkommen. Das nächste Treffen finde in Istanbul statt, informierte das türkische Präsidialamt nach einem Telefonat von Kremlchef Wladimir Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Ein Zeitpunkt wurde nicht genannt. Kiews Unterhändler David Arachamija teilte auf Facebook mit, dass bereits am Montag verhandelt werde.

Erneut Brände auf Gelände von AKW Tschernobyl ausgebrochen

In der von russischen Streitkräften besetzten Zone um die Atomruine Tschernobyl sind nach Angaben der ukrainischen Behörden neue Brände ausgebrochen. "In der Sperrzone haben große Brände begonnen, die sehr ernste Folgen haben können", schrieb die stellvertretende ukrainische Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Sonntagabend auf Telegram. Allerdings sei es wegen der russischen Truppen im Moment "unmöglich, die Brände vollständig zu kontrollieren und zu löschen". Mehr dazu im Live-Ticker.