GEORG MICHL sagt:

Der Ausschluss russischer Athleten und Kunstschaffender ist eine Maßnahme, deren Spektrum vielschichtig ist – wie der gesamte Konflikt. Die Maßnahme würde einem Berufsverbot gleichkommen und Betroffenen einen Teil der Lebensgrundlage entziehen. Doch sind Sport und Künste auch ein Nährboden für die russische Identität und mit außerordentlichen Leistungen haben sich die Machthaber immer gern geschmückt. Mit einem Ausschluss tragen theoretisch zwar nur die betroffenen Sportler und Künstler einen Schaden an Vermögen und Reputation davon, doch praktisch ist zugleich die Volksseele schwer getroffen. So keimt im Volk vielleicht noch stärker die Frage auf, warum solche Maßnahmen gesetzt werden, wo der Souverän doch behauptet, es handle sich um eine Mission im höchsten Interesse der russischen Bevölkerung?

Der Frage „Was können Sportler und Künstler denn dafür, dass Putin einen Konflikt austrägt?“ kann (freilich ebenso populistisch) mit einer Gegenfrage gekontert werden: „Was können die Kinder im U-Bahn-Schacht von Kiew dafür?“ – Nichts. Keiner von beiden trägt die Verantwortung, das große Leid erfährt allerdings nur eine der beiden Parteien.

Doch es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Kultur und Sport. Während Künstler (mit wenigen Ausnahmen wie dem Moskauer Bolschoi-Ballett und anderen renommierten Institutionen) sich meist nur selbst vertreten, repräsentiert ein Gros der Sportler ihre Verbände und so Mütterchen Russland. Skifahrer, Biathleten oder Leichtathleten werden von den nationalen Verbänden nominiert und auch aus der Staatskasse finanziert. Selbiges gilt auch für Nationalteams wie im Eishockey, Fußball oder Handball. Sie sind mit dem System Putins verbunden und auch in einer Abhängigkeit davon.

Es gibt jedoch viele Sportprofis, die unabhängig vom Rubel leben. Etwa Fußball-Profis oder Tennisspieler. Schließt man sie systematisch aus, müsste man dann in logischer Folge nicht auch jeden russischen Tischler oder Programmierer, der im Ausland arbeitet, sofort kündigen? Sofern sie sich nicht von Putin und seinen Machenschaften distanzieren, liegt diese Entscheidung beim Auftraggeber und dessen moralischen Wertvorstellungen.

Apropos Werte: Es mag ob des Krieges und Leides banal anmuten, aber Putin hat mit dem Angriff auch den olympischen Frieden während der Paralympics gebrochen. Im Sport gilt das Internationale Olympische Komitee als richtungsweisend und das IOC – das sich nur selten politisch aus dem Fenster lehnt – hat Russland den Rücken zugewendet. Das IOC hat damit die einzige vertretbare Entscheidung gefällt.

MARTIN GASSER meint:

Es scheint, als könnte man die Frage kinderleicht beantworten: Wer sich einem verbrecherischen System angedient hat, soll sanktioniert werden. Dies verkennt aber, wie eng Russland und der Rest der Welt ineinander verwachsen sind. Ein sozusagen „sauberer“ Schnitt ist unmöglich. Wenn man Künstlerinnen und Künstler wie den Dirigenten Valery Gergiev und die Sängerin Anna Netrebko aus ihren Posten und von der Bühne verbannt, was ist dann von einer Plattenfirma wie dem US-niederländischen Konzert Universal zu halten, der weiter an Netrebkos Plattenaufnahmen verdient? Soll man auch Produkte von Universal boykottieren?

Und warum passiert das alles erst jetzt? Im Westen haben Politiker noch den Bauchfleck vor Gergiev gemacht, als schon längst klar war, dass dieser ein Günstling und Freund eines brutalen Autokraten ist. Wer maßt sich an, darüber zu entscheiden, wer unerwünscht ist und wer nicht? Der risikolose Moralismus, mit dem im Westen auf Offenbarungseide bestanden wird, befremdet: Vergisst man dabei nicht, was für Russinnen und Russen auf dem Spiel steht, wenn sie sich kritisch zu Diktator Putin äußern? Wer weiß, ob sie nicht nur um Hab und Gut fürchten, sondern sich auch um Angehörige ängstigen?

Das muss nicht sein, aber allein dass es so sein könnte, muss Kritiker kleinlaut werden lassen. Der Westen finanziert mit Gasimporten den Angriffskrieg mit und entrüstet sich zugleich über die (zweifellos fragwürdige) Haltung einer Opernsängerin? So geht Doppelmoral. Sanktioniert wird dort, wo es bequem ist.

Natürlich: Keine westliche Institution muss mit Künstlern zusammenarbeiten, mit denen sie das nicht möchte. Und offizielle Vertreter von Russlands Kultur können jetzt keinesfalls eingeladen werden. Selbes gilt für Sportverbände, auch wenn die einzelnen Athleten Gegner Putins sein mögen. Aber Sanktionen gegen Einzelpersonen wie einen russischen Fußballlegionär?

Russlands Kultur ist eine der reichsten der Welt, und wenn der Autokrat im Kreml sein Land in Geiselhaft nimmt, muss man nicht sein Spiel mitspielen: Sein Kalkül, Gräben zu vertiefen, geht dabei auf. Die bizarre Hexenjagd gegen Russisches geht ja schon los: In Cardiff und Prag wurden Werke von Pjotr I. Tschaikowsky vom Programm genommen.
Vielleicht ist es ja richtig, Gergiev zu sanktionieren, aber eine solche Entscheidung soll den Westen nicht in rechtschaffenes Triumphgeheul ausbrechen lassen, sondern die Skepsis gegenüber dem eigenen Tun schärfen. Gesinnungsterror ist nicht annähernd so schlimm wie eine reale Bombe, aber der erste Schritt in die Barbarei.