Vormittags will ich mich mit einem Kollegen zum Kaffee verabreden, aber Telefonate in Moskau nehmen inzwischen völlig überraschende Wendungen: "Hallo, wie geht es?" "Ich bin nicht mehr da. Und du?" Der Kollege ist vor fünf Tagen nach Belgien ausgereist. Nachdem zwei Polizisten vor seiner Haustür gestanden waren, um ihn dringend zu ermahnen, nicht gegen die neuen strafrechtlichen Zensurverbote zu verstoßen. Eine Freundin, leitende Angestellte in der Moskauer Vertretung eines europäischen Pharmakonzerns, wechselt mitten im Telefonat das Thema: "Ich bin wohl meinen Job los." Ihr Büro mache dicht, über 300 Kollegen würden arbeitslos.

Dreieinhalb Wochen, nachdem die ersten russischen Sprengköpfe krachend in der Ukraine einschlugen, stürzen auch in Moskau immer öfters Schicksale ein. Aber Russlands Hauptstadt bemüht sich weiter, so zu tun, als hätte sich nichts geändert. Tagsüber leuchtet der noch immer frostige Vorfrühlingshimmel auf die 12-Millionen-Stadt herab. Glitzernde Parkettjeeps ziehen in endlosen Reihen über den Lenin-Prospekt. Auf der Fahrbahn stehen Zentralasiaten und verkaufen Blumen.