Wer wie Dr. Subhi Skaik als Arzt im Gazastreifen lebt, ist Leid und Tod gewöhnt. Doch so etwas wie in der Nacht zum Sonntag hat der Chef der Chirurgie in Gazas größtem Krankenhaus noch nie erlebt: "Das war ein Massaker. Der Beschuss begann mitten in der Nacht, und dann brachten sie eine Leiche nach der anderen hierher", sagte Skaik im Telefonat mit der "Kleinen Zeitung".

Mehr als 80 Tote wurden innerhalb weniger Stunden angeliefert - zu viel für den Leichensaal im Shifa-Krankenhaus: "In den Kühlschränken war kein Platz mehr, deswegen legten wir sie einfach auf den Boden", berichtet Skaik. Die meisten Opfer stammten aus Schadschaiya, einem kleinen Städtchen zwei Kilometer von der Grenze zu Israel entfernt - und seit Sonntag Schauplatz der heftigsten Kämpfe zwischen Israel und der Hamas. Denn den Israelis gilt Schadschaiya als "Hamas-Hochburg", sagt Armeesprecher Major Arye Shalicar. "Seit Beginn des Krieges am achten Juli schossen Islamisten von hier aus 140 Raketen auf israelische Städte ab. Sie haben dort ein Bunkersystem gebaut, in dem sich Waffen und Kommandozentralen befinden. Wir mussten gegen Schadschaiya vorgehen", sagt Shalicar. Schon vor zwei Tagen hatte Israels Armee die Bewohner des Städtchens gewarnt, ihre Häuser zu räumen, weil ein Angriff bevorstehe. Doch die Hamas rief die Menschen zum Bleiben auf. Und so gerieten Tausende Zivilisten ins Kreuzfeuer, als die Armee vorrückte. Dabei leistete die Hamas heftigen Widerstand. 13 israelische Soldaten starben in den Gefechten.

Artilleriefeuer deckt Vormarsch

Das Artilleriefeuer setzte ein, als die Armee versuchte, den Vormarsch der Bodentruppen zu decken und eines der zentralen Vorhaben der Hamas zu vereiteln: In den Besitz von Leichen israelischer Soldaten zu kommen, um sie später als Faustpfand in Verhandlungen zu nutzen. Stunden später berichteten Augenzeugen von zerstörten Straßenzügen, zig Leichen, die in Straßen lagen, aber auch von maskierten Hamas-Kämpfern, die von Haus zu Haus huschten.

Die konnten die Fluchtbewegung der Bevölkerung jedoch nicht mehr aufhalten. Mehr als 63.000 Menschen hatten Zuflucht in Einrichtungen des Flüchtlingshilfswerks UNRWA gesucht, Zehntausende weitere Menschen waren zu Freunden oder Verwandten geflohen. Tausende suchten Schutz rund um das Shifa Krankenhaus, weinende Kinder und verzweifelte Mütter drängten sich auf den Treppen des überfüllten Krankenhauses.

Derweil spitzt sich die humanitäre Lage in Gaza bedrohlich zu, 90% des Landstrichs haben höchstens sporadisch Strom. Selbst in den OP-Sälen in Shifa "geht immer wieder das Licht für mehrere Minuten aus, bis die Generatoren anspringen", berichtet Skaik. In Israel war man sich des Image-Schadens der Bilder in Schadschiya völlig bewusst. Dennoch betonte Premierminister Benjamin Netanjahu, dass die Operation in Gaza so lange andauern würde, bis die Hamas den Beschuss israelischer Städte einstelle. Gleichzeitig liefert Israel auch während des Kriegs zig Tonnen Nahrung und Medikamente in den Landstrich. Gestern Abend eröffnete die Armee an der Grenze ein Feldlazarett für Palästinenser.