Es ist keine reine Verschwörungstheorie mehr, sondern bereits eine fundierte Hypothese. Die Untersuchungsergebnisse des Schweizer Expertenteams müssen noch von zwei Forschergruppen in Frankreich und Russland bestätigt werden, doch dann stünde fest, dass der Palästinenserführer Jassir Arafat 2004 nicht einer Krankheit erlag, sondern ermordet wurde. Damit ist die Öffentlichkeit einer Lösung jedoch nur einen kleinen Schritt nähergekommen. Denn allen Anschuldigungen zum Trotz bleibt ein Rätsel, wer ihn vergiftete.

Es ist nachvollziehbar, weshalb viele Palästinenser davon ausgehen, dass Arafat von den Israelis ermordet wurde. Viele seiner Weggefährten waren zuvor von israelischen Elitekommandos ausgeschaltet worden. Auch Arafat selbst befand sich im Fadenkreuz: In den Achtzigerjahren verpassten ihn israelische Bomber bei der Belagerung Beiruts gleich mehrfach. Später entging er im tunesischen Exil einem Luftangriff, nur weil er zufällig joggen gegangen war. Nach einer kurzen Phase, in der er Israel als Friedenspartner galt, wurde er während der zweiten Intifada wieder zum Erzfeind des Judenstaates stilisiert. Premier Ariel Scharon wähnte ihn als Initiator, Geldgeber, Oberbefehlshaber der palästinensischen Terrorkampagne, die Hunderte Israelis das Leben kostete. Mehrere Minister forderten, Arafat auszuschalten.

Israel dementiert

Dennoch: Vieles spricht gegen die These, nicht nur die entschlossenen israelischen Dementis. Obschon ein offenes Geständnis natürlich nicht zu erwarten ist, reagieren israelische Sprecher anders, wenn sie eine Wahrheit abstreiten wollen. Sie halten dicht. Einfach zu lügen gilt auch hier als Unding. Doch es gibt weitere Anhaltspunkte. Zum Zeitpunkt, an dem Arafat letztlich starb, war er kein furchterregender Terrorist mehr. Er war umzingelt, regierte das, was vom Palästinenserstaat übrig war, mehr schlecht denn recht von wenigen Zimmern aus in einem Palast, der zur Ruine geworden war. International hatte Arafat an Ansehen verloren. Das Bild des Freiheitskämpfers verwandelte sich vielerorts in die Fratze eines Mannes, der Millionen an Spendengeldern veruntreut hatte, der sein eigenes Volk mit sieben verschiedenen Sicherheitsorganen beherrschte und der den Terror gegen israelische Zivilisten zumindest befürwortete. Er stellte für Israel keine Gefahr mehr dar, im Gegenteil: Er war genau das, was Scharon brauchte, um seinen Plan für einen einseitigen Rückzug aus Gaza umsetzen zu können: Ein Politiker, der die Palästinenser diskreditierte und jede Forderung, mit ihnen zu verhandeln, absurd erscheinen ließ. Hinzu kommen technische Details: Arafat wäre der Erste, der von den Israelis mit Polonium ermordet worden wäre. Bislang zog der Mossad andere Methoden vor.

Wer jedoch konnte sich das radioaktive Mittel besorgen, das hauptsächlich in Russland hergestellt wird? Wer genoss genug Vertrauen beim misstrauischen Arafat, um ihm so nah zu kommen, dass es selbst Arafats Leibwächtern und Mundschenken nicht auffiel? Wer konnte dafür sorgen, dass trotz der mysteriösen Todesursache keine Obduktion vorgenommen wurde?

Die Witwe hält sich zurück

Arafat war als lebendiger Politiker weitaus umstrittener als die heutige Ikone. Viele Menschen in seinem Umfeld hatten ein Interesse, ihn zu vergiften - aus politischen, persönlichen und finanziellen Gründen. Seine Mörder haben heute ebenso das Interesse, die Wahrheit unter Verschluss zu halten. Es dürfte kein Zufall sein, dass Arafats Witwe Suha es bisher unterlässt, Israel für den Mord verantwortlich zu machen. Vielleicht ahnt sie, dass es nicht der Mossad, sondern Arafats Umkreis war.