Warum werden ausgerechnet im Jemen so viele ausländische Reisende entführt?

GUNTER MULACK: Das hat eine lange Tradition. Entführungen gibt es im Jemen, seit es Touristen gibt. Die Stämme haben die Entführten aber stets wie Gäste behandelt. Meist wollten sie die Regierung erpressen, zum Bau von Straßen oder zur Freilassung von inhaftierten Stammesmitgliedern. Nur ganz selten steckten kriminelle Banden dahinter, die Lösegeld forderten.

Neuerdings mischen sich offenbar die Motive: Die Al Kaida soll die Finger im Spiel haben. Wie kommt es dazu?

MULACK: Infolge des Zusammenbruchs von Recht und Ordnung im Jemen gibt es viele Gruppierungen, auch kriminelle Banden und radikal-islamistische Dschihadisten, die Geld brauchen. Die sagen: "Prima! Wir entführen ein paar Leute und fordern von ihren Staaten eine Million Dollar Lösegeld."

Werden die Geiselnahmen gefährlicher?

MULACK: Ja. Die Stämme hatten ihre Ehre. Man konnte darauf setzen, dass nichts passierte. Aber seitdem das kleine unkontrollierte Gruppen von Übeltätern und radikalen Dschihadisten sind, sind die Entführungsfälle viel schwieriger zu lösen. Das kann dauern. Die bleiben stur. Im Vergleich zu Südamerika, wo man Entführten ein Ohr abschneidet und einschickt, waren die Geiselnehmer im Jemen aber noch nett. Der Österreicher und die zwei Finnen sind unversehrt zurück, sieht man von möglichen Traumata ab.

Die Al Kaida war totgesagt. Heute kämpft sie in Nordafrika, Syrien und im Jemen. Erlebt der Terror eine Renaissance?

MULACK: Selbst der Tod ihres Führers Osama bin Laden hat nicht dazu geführt, dass sich die Al Kaida auflöste. Im Gegenteil: Der Krieg im Irak und in Afghanistan und die amerikanischen Drohnenangriffe in Pakistan und im Jemen haben die radikalen Terrorgruppen gestärkt. Auch in der Bevölkerung sind der Hass auf Amerika und die Ohnmacht enorm gestiegen.

Was muss man sich unter der Al Kaida genau vorstellen?

MULACK: Das ist keine feste Organisation wie die Mafia, sondern es handelt sich um eine ideologische Plattform ohne zentrale Kommandostruktur. Ihre Basis ist der Heilige Krieg gegen die Besetzung islamischer Länder durch Ungläubige. Das sind ganz unterschiedliche Gruppen, die von mehr oder weniger charismatischen Führern geleitet werden und auf eigene Rechnung handeln.