Annalena Baerbock war am Wahlabend sichtlich bemüht, sich die Enttäuschung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen. "Diesmal hat es noch nicht gereicht", räumte die Kanzlerkandidatin mit Blick auf ihr verpasstes Ziel ein, erste grüne Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland zu werden. Den Hochrechnungen zufolge müssen sich die Grünen nach ihrem Höhenflug nun klar abgeschlagen hinter SPD und Grünen mit Platz drei zufriedengeben.

Zwar konnten die Grünen ihr mageres Ergebnis von 2017, wo sie mit 8,9 Prozent als schwächste Kraft in den Bundestag eingezogen waren, deutlich verbessern - den ersten Hochrechnungen zufolge auf knapp 15 Prozent. Doch das war am Wahlabend ein schwacher Trost für die Partei.

Denn nach der Nominierung der 40-jährigen Baerbock hatten die Grünen ihre bis dahin guten Umfragewerte noch einmal steigern können - und Union und SPD in der Wählergunst hinter sich gelassen. Doch bald kam die Kandidatin ins Stolpern: Sie musste dem Bundestag Nebeneinkünfte nachmelden, in dem auf ihrer Website veröffentlichten Lebenslauf fanden sich Ungereimtheiten, und schließlich geriet sie wegen ihres Buch unter Druck.

Plagiatsjäger warfen ihr wörtliche Übernahmen vor, die Grünen reagierten gereizt und sprachen von versuchtem Rufmord. Und obwohl die Partei mit dem Klimaschutz ein zentrales Wahlkampfthema setzte, geriet sie auch inhaltlich immer häufiger in die Defensive: So kamen sie in der Debatte um höhere Spritpreise schlecht weg, obwohl eine Anhebung auch Beschlusslage von Union und SPD ist.

Ihre Gegner führten zudem ins Feld, dass Baerbock über keinerlei Regierungserfahrung verfügt. Doch die Kanzlerkandidatin bezeichnete sich und ihre Partei als "lernfähig". In der Tat wird der Grünen-Chefin stets bescheinigt, dass sie sich schnell in Themen einarbeiten und kenntnisreich argumentieren kann. Und sie gilt als durchsetzungsstark. "Drei Jahre als Parteichefin, Abgeordnete und Mutter kleiner Kinder stählen ziemlich."

Der Traum vom Kanzleramt ist zerplatzt - doch Baerbock machte am Wahlabend deutlich, dass sie trotzdem politische Verantwortung übernehmen will: "Wir haben einen Auftrag für die Zukunft - diesen Auftrag gehen wir jetzt beherzt an", verkündete sie selbstbewusst.

Baerbock hat gerade im Wahlkampfendspurt keinen Hehl aus ihrer Nähe zur SPD gemacht: Somit käme eine "Ampelkoalition" mit SPD und FDP infrage. Aber auch ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP ist für die Grünen kein Tabu.

Die gescheiterte Kanzlerkandidatin wird neben Ko-Parteichef Robert Habeck die zentrale Figur bei den Grünen bleiben - hat sie in ihren Zeit an der Spitze der Grünen doch bewiesen, dass sie das politische Handwerk beherrscht: Sie ist verbindlich und vertritt jenen Pragmatismus, der die Grünen zu ihrer jetzigen Stärke geführt hat. Die ausgewiesene Realpolitikerin schaffte es dabei, den linken Parteiflügel einzubinden.

Die am 15. Dezember 1980 in Hannover geborene Baerbock war von 2009 bis 2013 Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, bevor sie in den Bundestag einzog. Bei den schließlich gescheiterten Sondierungen über eine Jamaika-Koalition Ende 2017 machte sich die ehemalige Trampolinturnerin nicht nur in der Klima-, sondern auch der Europapolitik einen Namen. Im Jänner 2018 wurde sie dann gemeinsam mit Habeck zur Grünen-Bundesvorsitzenden gewählt.

Die einstige Harmonie zwischen den beiden Vorsitzenden ist in den Wirren des Wahlkampfs etwas verflogen. Für die Partei hängt jetzt viel davon ab, ob sie künftig wieder an einem Strang ziehen.