Es könnte eine turbulente EU-Präsidentschaft werden: Anfang Juli übernahm Spanien turnusmäßig für ein halbes Jahr von Schweden den Vorsitz des EU-Ministerrats. Schon bald, am 23. Juli, finden in Spanien nationale Parlaments- und Regierungswahlen statt. Meinungsforscher erwarten einen Machtwechsel mit heftigem Rechtsruck. Dieser könnte zur Folge haben, dass Madrid bei wichtigen EU-Themen wie Migration oder Klimaschutz zum Bremser wird.

Minderheitsregierung unter Druck

Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef Pedro Sánchez, der seit fünf Jahren mit einer Minderheitsregierung im Amt ist, gibt sich optimistisch, dass es trotzdem eine erfolgreiche EU-Präsidentschaft wird. Sánchez klammert sich an die Hoffnung, dass er mit seiner Mitte-links-Regierung die Stimmungswende schafft und nicht abgewählt wird. Auch die EU-Kommission, die von Sánchez in Madrid empfangen wurde, versicherte, dass Spanien gut vorbereitet sei und sich in der Vergangenheit als zuverlässiger Partner erwiesen habe. 

Frankreich befand sich im ersten Halbjahr 2022 während seiner EU-Präsidentschaft in einer ähnlich angespannten Situation. Damals standen Präsidentschaftswahlen an. Es kam aber nicht zum Machtwechsel in Paris, der Kursänderungen für die französische EU-Politik gebracht hätte. Amtsinhaber Emmanuel Macron setzte sich damals aber gegen Marine Le Pen von der rechten Partei Rassemblement National durch.

Politisches Erdbeben erwartet

In Spanien dürfte die Regierungswahl hingegen ein Erdbeben auslösen, dessen Erschütterungen auch die EU erreichen würden. Wenn Wahlforscher richtig liegen, wird Spanien klar nach rechts rücken. Dem Spitzenkandidaten der konservativen Volkspartei, Alberto Núñez Feijóo, wird ein Sieg vorausgesagt. Er gilt zwar als überzeugter Europäer. Allerdings wird Feijóo wohl nicht allein regieren können. Er wird für eine ausreichende Mehrheit die Hilfe der rechten und europaskeptischen Partei Vox benötigen, die 13 bis 15 Prozent erringen könnte. Vox-Chef Santiago Abascal kündigte bereits an, dass er sich nicht mit der Rolle als Steigbügelhalter begnügen wird. Seine Partei wolle mitregieren. Die Rechtspopulisten wollen als Juniorpartner neben Ministerposten auch das Amt des Vize-Regierungschefs besetzen.

Sollte Vox tatsächlich demnächst Spaniens Europapolitik mitbestimmen, könnte die spanische EU-Ratspräsidentschaft ziemlich unberechenbar werden, etwa bei der Migrationspolitik: Vox lehnt (wie Polen und Ungarn) den von den EU-Innenministern geschlossenen Asyl-Kompromiss, der noch unter spanischen Ratsvorsitz abschließend verhandelt und durchs EU-Parlament gebracht werden soll, strikt ab. Der Pakt sieht rasche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und eine gerechte Umverteilung von Asylsuchenden auf alle Mitgliedsstaaten vor. Statt die Aufnahme von Asylsuchenden zu regeln, müsse ein Migrationspakt sich auf die Abwehr der "Immigranteninvasion" durch eine Abschottung der Außengrenzen konzentrieren, fordert Jorge Buxadé, Europasprecher der Rechtspartei. Auch beim von der EU vorangetriebenen "grünen Deal", mit dem der umweltfreundliche Wandel Europas forciert werden soll, steht Vox-Chef Abascal auf der Bremse. Diese Bemühungen sieht er als "Klimafanatismus".

Drohen also der EU, die schon mit rechtslastigen Regierungen in Ungarn, Polen und Italien zu kämpfen hat, bald auch aus Spanien Querschüsse? Bisher war Spanien ein äußerst europafreundliches EU-Mitglied, das bis zur Osterweiterung 2004 der größte Nettohilfsempfänger war. Viel Infrastruktur wurde mit EU-Milliarden subventioniert. Premier Sánchez: "Wir sind das, was wir heute sind, zum Großteil dank Europa."