Im Streit um die französische Pensionsreform hat eine Oppositionsfraktion am Freitag einen Misstrauensantrag gegen die Regierung eingereicht. Anlass war die Ankündigung der Regierung vom Vortag, die Pensionsreform ohne parlamentarische Abstimmung durchzusetzen. Unterdessen kam es am Freitag erneut zu wütenden Protesten gegen die geplante Reform des Pensionssystems.

"Die Abstimmung über diesen Antrag bedeutet den Ausweg aus der Krise", sagte Bertrand Pancher, Chef der liberalen Fraktion Liot, in Paris. Auch Abgeordnete des linken Bündnisses Nupes hätten den Antrag unterzeichnet. Die rechtspopulistische Fraktion Rassemblement National hatte angekündigt, ebenfalls einen Misstrauensantrag zu stellen. Die Nationalversammlung wird voraussichtlich am kommenden Montag über die Anträge abstimmen.

Proteste und Ausschreitungen

Falls eine absolute Mehrheit der Abgeordneten dafür stimmt, ist die Reform abgelehnt und die Regierung muss zurücktreten. Dann könnte Präsident Emmanuel Macron einen neuen Premierminister ernennen oder Neuwahlen ausrufen. Sollte keine absolute Mehrheit für den Misstrauensantrag zustande kommen, ist die Pensionsreform endgültig verabschiedet. Das Vorgehen der Regierung hatte die seit Wochen anhaltenden Proteste in Frankreich erneut angefacht.

Am Freitag in der Früh blockierten Demonstranten etwa eine halbe Stunde lang die Pariser Stadtautobahn. Die Gewerkschaft CGT kündigte die Stilllegung einer Raffinerie in der Normandie an. Bisher waren die Raffinerien zwar teilweise blockiert, hatten aber weiter produziert.

Die Zahl der Festnahmen nach Ausschreitungen in mehreren Städten am Vorabend stieg unterdessen auf 310. Am Donnerstagabend hatte die Polizei in Paris eine Demonstration mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst. Auch in anderen Städten war es zu Demonstrationen und teilweise auch zu Ausschreitungen gekommen. In Paris führt zudem der Streik der Müllabfuhr zu wachsenden Müllhaufen und Gestank in der Stadt.

Unterdessen bemühten sich Regierungsmitglieder in Interviews um Schadensbegrenzung. Die Anwendung des Verfassungsartikels bedeute "kein Scheitern", betonte Arbeitsminister Olivier Dussopt: "Es gibt einen Gesetzentwurf, und wenn die Misstrauensanträge abgelehnt werden, dann wird er auch in Kraft treten."

Abgeordnete unter besonderem Schutz

Innenminister Gérald Darmanin wies unterdessen die Polizei an, die Parlamentsabgeordneten angesichts der anhaltenden Proteste besonders zu schützen. Die Parlamentarier seien Bedrohungen, Beleidigungen und Sachbeschädigungen ausgesetzt, schrieb der Minister, wie France Info berichtete.

Premierministerin Élisabeth Borne hatte zuvor im Parlament begleitet von lautem Protest der Opposition gesagt: "Diese Reform ist notwendig." Sie übernehme mit ihrer Regierung die Verantwortung, sagte Borne unter empörten Buh-Rufen in der Nationalversammlung und kündigte offiziell die Anwendung des Verfassungsartikels 49.3 an, der die Verabschiedung eines Gesetzes ohne parlamentarische Abstimmung ermöglicht, falls die Regierung einen oder mehrere damit verbundene Misstrauensanträge übersteht.

Regierungssprecher Olivier Véran zeigte sich zuversichtlich, dass es nicht zum Sturz der Regierung kommen werde. "Wir sind dazu aufgerufen, weiterzuregieren", betonte er.

Die Pensionsreform sieht vor, das Antrittsalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen. Zudem sollen die Mindestpension bei voller Beitragszeit auf 1.200 Euro angehoben und die Beschäftigung von Senioren gefördert werden.