Bei der Vereidigung seiner neuen Regierung versprach der wiedergewählte israelische Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu: „Dies ist nicht das Ende der Demokratie“. In den Ohren vieler klingen seine als Beruhigung gemeinten Worte eher wie eine düstere Verheißung. Gestern ist in Jerusalem die neue Regierung eingeschworen worden. Es ist die rechteste und religiöseste Koalition, die der kleine Nahoststaat je gesehen hat.

Sie besteht aus dem rechtsgerichteten Likud von Netanjahu, drei rechtsextremen und zwei ultraorthodoxen Parteien. Bevor er der Knesset seine Führungsriege vorstellte, präsentierte er dem Plenum seine Agenda unter Buhrufen und Pfiffen aus der jetzigen Opposition, die zuvor die Regierung gestellt hatte. Die Abgeordneten skandierten „Schwach! Schwach!“, mit Bezug auf den Korruptionsprozess, der Netanjahu derzeit in drei Fällen gemacht wird.

Weitreichende Autoritäten über die Polizei

Vor der Vereidigung hatte die Mehrheit der rechten und religiösen Parlamentarier bereits Änderungen des Grundgesetzes gebilligt. Eins der Gesetze ebnet den Weg für den Vorsitzenden der nationalistischen Partei Religiöser Zionismus, Bezalel Smotrich, die Kontrolle über das palästinensische Westjordanland zu übernehmen. Der rechtsextreme Chef von Otzma Jehudit, Itamar Ben-Gvir, erhält als Minister für Innere Sicherheit zudem weitreichende Autoritäten über die Polizei.
Das israelische Sicherheitsestablishment sieht beides mit Sorge. Stabschef Aviv Kochavi kritisierte die Übergabe dieser Aufgaben, die traditionell zur Armee gehören. Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz von der Zentrumspartei Blau-Weiß befürchtet eine Eskalation des israelisch-palästinensischen Konflikts. „Blut könnte vergossen werden – und es ist eine Schande, dass wir diesen Preis zahlen werden.“
Jüdische Siedlungen in den Palästinensergebieten dürften wahrscheinlich ausgebaut werden, auch wenn die Koalitionsvereinbarung dazu vage bleibt. Sie spricht vom „natürlichen Recht des jüdischen Volkes auf das Land Israel und eine Annektierung des Westjordanlandes“.

Sorge um Tempelberg

Ein besonders empfindliches Thema ist der sogenannte Status quo über den Tempelberg in Jerusalem, auf dem sich die Al-Aksa-Moschee, drittheiligste Stätte der Muslime, befindet. Auf die Anhöhe erheben auch die Anhänger der beiden rechtsextremen Parteien Anspruch. Sollte der Status quo angetastet werden, haben militante Palästinensergruppen, darunter die im Gazastreifen regierende Hamas, bereits gewalttätigen Widerstand angekündigt. Auch Nachbarn wie Jordanien oder Libanon könnten in den Konflikt einbezogen werden und sogar arabische Staaten, mit denen Jerusalem Frieden geschlossen hat, darunter die Vereinigten Arabischen Emirate.

Während der Vorstellung der Koalition demonstrierten mehr als tausend Menschen gegen die Hardliner-Regierung. Die Demonstranten hielten Schilder mit Parolen gegen Rassismus und Korruption in die Höhe und beschuldigten Netanjahu, gemeinsam mit Ben-Gvir und Smotrich, „die Demokratie zu zerstören“. Der scheidende Premier Yair Lapid von Jesch Atid, der zuletzt der breitesten Koalition in der Geschichte vorgesessen hatte, sagte, er übergibt den Staffelstab der Regierung „mit einem unruhigen Herzen“.

Scharfe Kritik

Wochenlang hatte die geplante Regierungsbeteiligung der Rechtsextremen scharfe Kritik aus breiten Teilen der Bevölkerung und dem Ausland heraufbeschworen. Vor allem Menschenrechts- und LGBTQ-Gruppen brachten Ängste über die mögliche Einschränkung ihrer Rechte und eine Ausweitung der Religiosität zum Ausdruck. Avi Maoz, Vorsitzender von Noam, spricht sich klar gegen Rechte für Homosexuelle und die Gleichberechtigung von Frauen aus.

Netanjahu betonte, dass sich das Land weder „in eine Theokratie“ verwandle noch Minderheiten benachteiligt würden. Israel hat sich stets gerühmt, „die einzige Demokratie in Nahost zu sein“. Nach der Übernahme dieser 37. Regierung in Jerusalem sind allerdings viele skeptisch, ob dies auch in Zukunft so sein wird.