Die Teilnehmer des G20-Gipfels in Indonesien haben sich auf eine überraschend deutliche Kritik am russischen Angriff auf die Ukraine geeinigt und sich für einen freien Welthandel ausgesprochen. In einer am Mittwoch einstimmig gebilligten Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer wird zudem die Sorge wegen einer hohen Verschuldung vieler Staaten und der hohen Inflation betont.

Überschattet von Raketeneinschlag

Die Abschlusserklärung enthält auch den Appell, die Weltwirtschaft wieder zu stärken. Der zweite Tag des Gipfeltreffens auf Bali war von dem Einschlag einer Rakete im polnischen Grenzgebiet zur Ukraine überschattet.

Nach diplomatischem Ringen wurde die Gipfel-Erklärung verabschiedet, in der Russlands Krieg gegen die Ukraine mit deutlichen Worten kritisiert wird. "Die meisten Mitglieder haben den Krieg in der Ukraine auf das Schärfste verurteilt und haben betont, dass er unermessliches menschliches Leid verursacht und bestehende Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft", heißt es darin. In dem Text wird darauf verwiesen, dass der Krieg das weltweite Wachstum einschränke, die Inflation antreibe, die Versorgungsketten unterbreche, die Energie- und Ernährungsunsicherheit verstärke und die Risiken für die Finanzstabilität erhöhe.

Eine Einigung mit Russland und China wurde möglich, weil die Erklärung auch den Hinweis enthält, dass es "andere Ansichten und unterschiedliche Einschätzungen der Situation und der Sanktionen" in der Ukraine gibt. "Wir erkennen an, dass die G20 nicht das Forum für die Lösung von Sicherheitsfragen ist, aber wir erkennen an, dass Sicherheitsfragen erhebliche Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben können", heißt es zudem. Ohne direkte Nennung des Ukrainekriegs wird der "Einsatz oder die Androhung des Einsatzes von Atomwaffen" für unzulässig erklärt. Die friedliche Beilegung von Konflikten, Bemühungen zur Bewältigung von Krisen sowie Diplomatie und Dialog seien unerlässlich. "Die heutige Zeit darf nicht von Krieg geprägt sein." Deutschlands Kanzler Olaf Scholz hatte bereits am Dienstag gesagt, dass es ein Erfolg sein würde, wenn die G20 einen solchen Beschluss verabschieden könnten.

Die G20-Staaten zeigen sich zudem beunruhigt wegen des hohen Schuldenstands vieler Entwicklungs- und Schwellenländer. "Wir sind besorgt über die sich verschlechternde Schuldensituation in einigen gefährdeten Ländern mit mittlerem Einkommen", heißt es in der 16-seitigen Erklärung. Ohne China namentlich zu erwähnen, wird betont, wie wichtig es sei, dass alle offiziellen und privaten bilateralen Gläubiger zusammenarbeiten sollten. Zudem wird mehr Transparenz gefordert, die für private und staatliche Gläubiger gelten soll. Hintergrund sind Sorgen, dass China über die Regierung, Provinzen und Privatfirmen riesige Kreditsummen an mittlerweile hoch verschuldete Entwicklungsländer vergibt, aber selbst keinen Überblick mehr über das Volumen hat. Scholz hatte im Vorfeld vor einer neuen Weltfinanzkrise gewarnt.

Die G20 bekennen sich zudem zum freien Welthandel und wollen zusammenarbeiten, damit Lieferketten nicht unterbrochen werden und es zu keinen Handelsunterbrechungen kommt. "Wir bekräftigen die wichtige Rolle des Tourismus für den weltweiten Aufschwung", heißt es zudem. Gefordert wird zudem eine Stabilisierung der Nahrungsmittelmärkte und eine Fortsetzung des Abkommens mit Russland für ukrainische Getreide-Ausfuhren über das Schwarze Meer. Russlands Außenminister Sergej Lawrow, der Präsident Wladimir Putin am Dienstag auf dem Gipfel vertreten hatte und dann vorzeitig abgereist war, verwies auf Zusicherungen der USA und der EU, dass sie russische Getreidelieferungen nicht behindern würden. Diese fallen allerdings nicht unter die im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg verhängten Sanktionen gegen Russland.

Steuervermeidung und -hinterziehung im Visier

Die G20-Zentralbanken sollen zudem ihre Arbeit stark auf den Kampf gegen die hohe Inflation ausrichten. Die G20 bekennen sich zudem erneut zu der beschlossenen Mindestbesteuerung für Unternehmen und Maßnahmen gegen Steuervermeidung und -hinterziehung. Sie sagen auch zu, dass Produktionskapazitäten für Medikamente überall in der Welt aufgebaut werden sollten.

Mit Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel bekennen sich die G20 zu dem 1,5-Grad-Ziel und den 100 Milliarden Dollar jährlich, die die Industriestaaten ärmeren Ländern für deren Weg zur Klimaneutralität zahlen wollen. "Dies erfordert sinnvolle und wirksame Maßnahmen und das Engagement aller Länder, wobei unterschiedliche Ansätze berücksichtigt werden müssen", heißt es auch mit Blick auf den laufenden Weltklimagipfel in Ägypten.