Der UN-Chef und die beiden Präsidenten seien am Donnerstag in Lwiw im Westen der Ukraine zusammengekommen, berichtete die türkische staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Im Anschluss an das Treffen soll es eine Pressekonferenz geben - laut UNO dürfte diese aber nicht live übertragen werden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besteht darauf, das von russischen Truppen besetzte Atomkraftwerk in Saporischschja zu entmilitarisieren. Die Anlage müsse vollständig von den "Aggressoren" befreit werden, schrieb Selenskyj nach einem Treffen mit UNO-Generalsekretär Antonio Guterres und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag auf Telegram. "Dieser beabsichtigte Terror seitens des Aggressors kann global katastrophale Konsequenzen haben."

Bei den Treffen geht es für die Vereinten Nationen und die Türkei um den Versuch, knapp ein halbes Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den Einstieg in eine Verhandlungslösung auszuloten. Daneben soll es um die Lage in dem von russischen Truppen besetzten AKW Saporischschja gehen und die Möglichkeiten einer internationalen Expertenmission. Selenskyj hatte am Mittwochabend erneut einen Abzug russischer Soldaten aus Europas größtem Kernkraftwerk gefordert.

Die Vereinten Nationen müssten für die Sicherheit dieses strategischen Objekts sorgen. Russland drohte indes damit, die Reaktoren von Europas größtem AKW herunterzufahren. Die Kriegsparteien machen sich gegenseitig für den anhaltenden Beschuss der Anlage verantwortlich. Seit März halten russische Truppen das Kraftwerk besetzt, es wird aber weiterhin von ukrainischen Technikern betrieben. Die Regierung in Moskau weist bisher auch international gestellte Forderungen nach einer entmilitarisierten Zone um das AKW zurück. Dies sei "inakzeptabel", erklärte das Außenministerium in Moskau.

Das Verteidigungsministerium sprach davon, das AKW herunterzufahren, sollte es weiterhin beschossen werden. Ukrainische Vertreter warfen Russland vor, das AKW an das russische Netz anschließen zu wollen. Sie warnten außerdem, ein Herunterfahren der Meiler würde die Gefahr einer nuklearen Katastrophe erhöhen. Das Herunterfahren eines AKW ist ein komplizierter Prozess, weil dabei die nukleare Kettenreaktion unterbrochen werden muss, ohne dass dabei eine Kernschmelze entsteht.

Die russischen Besatzer des Kraftwerks warfen der ukrainischen Führung unterdessen erneut gefährliche Angriffe vor. Es gebe die Gefahr, dass durch den Beschuss das Kühlsystem der Reaktoren und die Lagerstätten für nukleare Abfälle beschädigt würden, sagte der Besatzungschef der Region, Jewgeni Balizki, am Donnerstag im russischen Staatsfernsehen. "Das Kühlsystem garantiert die zuverlässige Arbeit des Atomkraftwerks", sagte er und warnte vor einer Katastrophe wie 1986 im ukrainischen Kernkraftwerk Tschernobyl.

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Massiver Raketenangriff

Im Osten der Ukraine kamen bei massiven russischen Raketenangriffen auf die Stadt Charkiw nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Donnerstag mindestens elf Menschen ums Leben. Dabei handle es sich ausschließlich um Zivilisten, teilte der ukrainische Militärgouverneur Oleh Synjehubow per Telegram mit. Weitere 35 Menschen seien verletzt worden. Angriffe gab es demnach auch in der rund 80 Kilometer südwestlich gelegenen Stadt Krasnohrad. Dort wurden nach Angaben der Behörden zwei Menschen getötet und zwei weitere verletzt. Die Informationen ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

In Ortschaften des Nachbargebiets Donezk, die unter Kontrolle der Ukraine stehen, wurden nach Behördenangaben bereits am Mittwoch mindestens drei Zivilisten getötet und weitere sechs verletzt. Die prorussischen Separatisten im Gebiet Donezk melden ebenfalls fast täglich Tote und Verletzte durch Raketenangriffe.

Die Vereinten Nationen haben mehr als 5500 zivile Todesopfer in dem Krieg registriert, gehen aber von weitaus höheren Opferzahlen aus.

Getreidekorridore

Seit der Einigung auf den Korridor für ukrainisches Getreide sind nach türkischen Angaben bereits 43 Schiffe in See gestochen. 25 davon hätten die Ukraine verlassen, 18 hätten sich auf den Weg zu ukrainischen Häfen gemacht, teilte das türkische Verteidigungsministerium am Donnerstag mit. Somit seien mehr als 622.000 Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen verschifft worden, hieß es.

Die UNO und die Türkei hatten Ende Juli Vereinbarungen vermittelt, dass die Ukraine trotz des russischen Angriffskrieges wieder Getreide über ihre Schwarzmeerhäfen ausführen darf. Es wird geschätzt, dass mehr als 20 Millionen Tonnen Getreideerzeugnisse in der Ukraine lagern.

Mehr Druck auf Russland versucht unterdessen Estland aufzubauen. Russische Staatsbürger dürfen von diesem Donnerstag an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum in das baltische EU- und Nato-Land einreisen.

Keine Visa mehr

Estland hatte als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg in der Ukraine die Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen bereits weitgehend ausgesetzt. Mit einem gültigen Visum war es aber weiterhin möglich, per Bus oder Auto über die estnische Grenze in den Schengenraum einzureisen. Dies ist künftig nicht mehr möglich.

Weiter einreisen dürfen auch russische Bürger mit von anderen EU-Mitgliedern ausgestellten Visa, die für den gesamten Schengen-Raum mit seinen 26 europäischen Ländern gilt. Zusammen mit seinen ebenfalls an Russland grenzenden Nachbarländern Finnland und Lettland macht sich Estland daher für einen grundsätzlichen Stopp von Touristenvisa stark. Deutschland und die EU-Kommission in Brüssel lehnen dies ab.

Das russische Außenministerium erklärte unterdessen, Russland würde Atomwaffen nur in Notfällen einsetzen. Nach der russischen Militärdoktrin sei der Einsatz von Nuklearwaffenarsenalen nur als Antwort auf einen Angriff zur Selbstverteidigung möglich, sagt Ministeriumssprecher Iwan Netschaew. Russland habe kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit der NATO und den USA.