Es sind zwei Bilder, die derzeit vom Libanon aus um die Welt gehen. Lange Warteschlangen vor Bäckereien und der Brand eines Getreidesilos im ohnehin zerstörten Beiruter Hafen, der schließlich vor wenigen Tagen einstürzte. Zwei Bilder, die zum Symbol der Verzweiflung eines Landes am Abgrund stehen.

Zum zweiten Jahrestag der Explosion im Beiruter Hafen gibt es Land wenig Hoffnung. Bereits vor einem Jahr präsentierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch weitere Beweise für den Vorwurf, dass die Regierung die Explosion hätte verhindern können. In einer ungesicherten Halle im Beiruter Hafen hatten sechs Jahre lang 2750 Tonnen Ammoniumnitrat gelagert – bis sie am 4. August 2020 explodierten und mehr als 200 Menschen töteten. Tausende Menschen wurden verletzt und große Teile des Hafens und anliegende Wohngebiete zerstört.

Kostbares Brot: Schlangen vor Bäckereien
Kostbares Brot: Schlangen vor Bäckereien © APA/AFP/JOSEPH EID

Zu diesem Zeitpunkt war die Wirtschaftslage bereits katastrophal. Das Land ist hoch verschuldet. Der Libanon produziert wenig und ist auf Importe angewiesen. Jahrelang lockten die Banken vor allem im Ausland lebende Libanesen mit sehr hohen Zinsen und investierten selbst wiederum in Staatsanleihen. Die Schuldenquote des Libanon stieg rasant. Die Währung – seit 1997 an den US-Dollar gekoppelt – verfiel. Seit dem Sommer 2019 galt der jahrelange Tauschwert (1500 libanesische Pfund – 1 US-Dollar) nicht mehr, auf dem Schwarzmarkt wird der Dollar seither teurer und teurer. Als die Regierung im Herbst 2019 eine Steuer auf WhatsApp-Dienste ankündigte, reichte es den Menschen: Überall im Land wurde demonstriert. Die Coronapandemie verschärfte die Lage.

Warteschlangen an der Tagesordnung

Der Libanon leidet seither unter einer beispiellosen Wirtschaftskrise. Die Nationalwährung hat mehr als 90 Prozent ihres Wertes verloren, die Inflation galoppiert. 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, während der Staat die Subventionen für alle wichtigen Güter aufgehoben hat – mit Ausnahme des Weizens, eines Grundnahrungsmittels, das der Libanon bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges zu 80 Prozent aus der Ukraine importierte.

Das ist schwierig geworden. Nicht nur der Ausfuhrstopp seit der russischen Invasion in die Ukraine ist ein Problem. Auch die Folgen der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020 erschweren den Import und die Lagerung von Weizen zusätzlich.

"Seit mehr als zwei Wochen sind Warteschlangen an der Tagesordnung", beobachtet Mohamed Mehdi, Besitzer einer Bäckerei in Beirut. Es herrsche großer Mangel an Brot, die Kunden kämen teilweise mit Schusswaffen und Messern. Streitereien vor den Bäckereien seien an der Tagesordnung. Vergangene Woche musste laut Berichten einheimischer Medien im Osten des Landes sogar das Militär eingreifen, nachdem eine Bäckerei von einer wütenden Menge gestürmt worden war. "Die Menschen drängeln, um Brot zu bekommen – das ist erniedrigend", sagt Mehdi.

Das libanesische Wirtschaftsministerium beschuldigt Bäckereien, subventioniertes Mehl zu hamstern. Die Bäckereien wiederum werfen der Zentralbank vor, nicht genug Kredite für Importe bereitzustellen. Immerhin verließ erstmals seit Monaten ein Schiff mit ukrainischem Getreide an Bord den Hafen von Odessa – mit dem Ziel Libanon.