Mit 25 Minuten Verspätung traten Bundeskanzler Karl Nehammer und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban vor die Presse. "Freundschaft heißt, über Unterschiede in Wahrheit zu sprechen", betonte Nehammer zu Beginn. Gesprochen wurde vor allem über Atomenergie und künftige sicherheitspolitische Konzepte, so der Bundeskanzler. Nehammer habe den Vorschlag einer Konferenz zwischen Serbien, Ungarn und Österreich, zugestimmt: "Um Fluchtrouten zu identifizieren und Lösungen zu finden".

Auch Viktor Orban begann sein Statement amikal. "Ein Ungar fühlt sich in Wien immer zu Hause, ein Österreicher kann sich auch in Budapest zu Hause fühlen". Er lobte "ausgezeichnete Verhandlungen". Auch für "intellektuelle Fragen wie Rassismus" blieb Zeit, betonte der ungarische Ministerpräsident. Gleichzeitig bremste er die Erwartungen in puncto Kernenergie. "Da sehe ich derzeit wenig Chancen, Einigungen zu erzielen. Es sei denn, Österreich schickt uns Wasserkraftwerke nach Ungarn".

Nehammer kritisiert EU-Kommission

Bundeskanzler Karl Nehammer kritisierte die Langsamkeit der EU-Kommission bezüglich eines gemeinsamen Gaseinkaufs der EU-Länder. "Eine gemeinsame Energieplattform wäre wichtiger denn je", so Nehammer, damit sich die EU-Länder gegenseitig keine Konkurrenz machten. Er forderte von Brüssel mehr Tempo: "Es gibt viele Ankündigungen von der EU-Kommission, aber nur wenige Umsetzungen", so Nehammer beim Besuch des ungarischen Premiers Viktor Orbán am Donnerstag in Wien.

Orbán kritisierte seinerseits grundsätzlich die Sanktionsstrategie der EU gegen Russland als Mittel zur Beendigung des Ukraine-Krieges, und warnte dabei auch vor künftiger Kriegswirtschaft und Rezession. Eine vorgeschriebene Rationierung des Erdgases "ist das erste Zeichen einer Kriegswirtschaft", so Orbán nach einem Treffen mit Nehammer. Wenn der Krieg nicht bald endet, würde das zu einer Rezession und in weiterer Folge zu Massenarbeitslosigkeit in Europa führen, warnte er.

Nehammer stimmte einer Evaluierung der Sanktionsmaßnahmen zwar grundsätzlich zu, meinte aber, dass "der Zeitpunkt noch zu früh" sei. Die Sanktionen gegen Russland würden früher oder später wirken, gab er sich zuversichtlich.

Gleichzeitig gelte aber das Prinzip: "Sanktionen müssen den mehr treffen, gegen den sie gerichtet sind, aber nicht dem mehr schaden, der sie beschließt." Deshalb sei die österreichische Position klar, dass ein Gasembargo wegen der Abhängigkeit der österreichischen und deutschen Wirtschaft vom russischen Gas "nicht möglich" sei, betonte Nehammer. Ein "Kippen" der deutschen Wirtschaft würde nämlich Österreich mitreißen und zu Massenarbeitslosigkeit führen.

Orban stellt EU-Sanktionen in Frage

Der ungarische Regierungschef betonte seinerseits mit Blick auf den Gas-Notfallplan der EU, dass sein Land sich "nicht freut, wenn uns Rechte weggenommen werden", da bisher die Energiewirtschaft in der Zuständigkeit der EU-Mitgliedsländer stand. "Die europäische Einheit ist aber ebenfalls wichtig, daher nehmen wir das zur Kenntnis und versuchen, es mit möglichst geringem Schaden umzusetzen", so Orbán.

Nach dem Text für die Rechtsverordnung sieht der Plan wie von der EU-Kommission vorgeschlagen vor, den nationalen Konsum im Zeitraum vom 1. August 2022 bis zum 31. März 2023 freiwillig um 15 Prozent zu senken - als Referenz wird der Durchschnittswert des Verbrauchs des Zeitraums der vergangenen fünf Jahre genommen. Zudem soll die Möglichkeit geschaffen werden, bei weitreichenden Versorgungsengpässen einen Unionsalarm auszulösen und verbindliche Einsparziele vorzugeben.

Bei der Ankunft von Orban gab es im Vorfeld neben militärischen Ehren Pfeifkonzerte und Buhrufe von Demonstranten.

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