Tschechien übernimmt den EU-Vorsitz in einer Zeit innenpolitischer Spannungen, die an seine erste EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2009 erinnern. Diese wurde durch den Sturz der damaligen Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek bei einer Misstrauensabstimmung überschattet.

Dem damaligen sozialdemokratischen (CSSD) Oppositionsführer Jiri Paroubek gelang es Mitte des sechsmonatigen Vorsitzes zwei "Überläufer" aus der Regierungskoalition für den Misstrauensantrag zu gewinnen und Tschechien musste sich neben der EU-Agenda auch um die Suche nach einem neuen Kabinett kümmern. Kritiker sprachen von einer internationalen Schande Tschechiens.

Angst vor Déjà-vu

Die Angst vor einer möglichen Wiederholung der Situation von 2009 ist in Prag auch jetzt spürbar. Ausgelöst wird sie vom bevorstehenden Wahlkampf sowie einer Korruptionsaffäre. Im September finden in Tschechien Kommunal- und Teilsenatswahlen statt, bei denen es vor allem um die Posten der Oberbürgermeister Prags sowie der Kreisstädte und die Neubesetzung eines Drittels der zweiten Parlamentskammer geht. Gleich danach ist mit einer heißen Wahlkampf-Phase vor der Wahl des Staatspräsidenten im Jänner 2023 zu rechnen.

Was die Korruptionsaffäre im Prager Rathaus und in den Prager Verkehrsbetrieben um die Erteilung der öffentlichen Aufträge angeht, ist die mitregierende Bürgermeisterpartei (STAN) davon betroffen. Unterrichtsminister Petr Gazdik musste bereits seinen Hut nehmen und der Prager Vize-Oberbürgermeister Petr Hlubucek (STAN) wurde mit weiteren Personen bei einer groß angelegten Razzia verhaftet und in Untersuchungshaft genommen.

"Storchennest"-Affäre

Der Vorsitzende der oppositionellen Bewegung ANO und frühere Ministerpräsident Andrej Babis präsentiert sich aber als "verantwortungsvoller" Politiker und verspricht, keinen Misstrauensantrag gegen das Kabinett des konservativen (ODS) Regierungschefs Petr Fiala einzureichen. "Wir haben den EU-Vorsitz und wir wollen dem Image der Tschechischen Republik im Ausland nicht schaden", sagte Babis, der sich so offenbar staatstragend vor der Präsidentenwahl präsentieren will, vor kurzem.

Außerdem soll im September der Gerichtsprozess gegen ihn wegen der sogenannten "Storchennest"-Affäre beginnen. In dem mehrere Jahre alten Skandal geht es um angeblichen EU-Subventionsbetrug durch Babis' Holding Agrofert.

Auch Staatspräsident Milos Zeman wünscht sich offensichtlich, dass Fialas Regierung im Verlauf des EU-Vorsitzes so stabil wie möglich bleibt. Er hat den neuen Unterrichtsminister Vladimir Balas anstelle des zurückgetretenen Gazdik - gemessen an Zemans Maßstab - "blitzschnell" angelobt, damit das Kabinett bei der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft komplett ist. In der Vergangenheit zögerte Zeman meistens mit den Angelobungen sehr lange und in einigen Fällen lehnte er es sogar ab, den vorgeschlagenen Politiker zum Regierungsmitglied zu ernennen. Auch gegen Balas hatte Zeman gewisse Einwände, allerdings wollte der Staatspräsident die Situation für Regierungschef Fiala unmittelbar vor Beginn des EU-Vorsitzes nicht verkomplizieren.

Opposition fordert Rücktritt

Demgegenüber zeigt die oppositionelle rechtspopulistische Partei der direkten Demokratie (SPD) von Tomio Okamura keine Barmherzigkeit. "STAN muss weg und eine sofortige Umbildung der Regierung ist nötig, weil sie Tschechien im Ausland Schande bereitet," fordert Okamura, der schon nach Unterschriften für einen Misstrauensantrag sucht, auch innerhalb der Babis-Bewegung. Im 200-köpfigen Abgeordnetenhaus hat die SPD selbst nur 20 Stimmen.

Die SPD versucht, die Stimmung innerhalb der Babis-Bewegung zu nutzen, die auch den Rücktritt des Vizepremiers und Innenministers Vit Rakusan fordert, der auch STAN-Vorsitzender ist. Es sei unzulässig, dass das Innenministerium von einem Politiker geleitet wird, dessen Partei von der Affäre betroffen sei, argumentiert ANO. Für einen Rücktritt sieht Rakusan selbst aber "keinen einzigen Grund", auch weil er die Arbeit der Polizei nicht beeinflussen könne und dürfe.

Dabei erhielt er die Unterstützung Fialas, dessen Koalition über 108 Stimmen im Unterhaus verfügt und STAN mit 33 Abgeordneten für die Erhaltung der Parlamentsmehrheit unbedingt braucht. Ob der Verbleib Rakusans im Amt nicht zum Zündstoff für eine Verschärfung der innenpolitischen Spannungen wird, bleibt abzuwarten.