Pro

Chinas Regierung hat einen Überwachungsstaat
geschaffen. Peking stellt sich damit selbst gegen die olympische Idee. Ein diplomatischer Boykott stellt klar, dass wir das nicht unterstützen. Sportler sind nicht betroffen.

Wolfgang Benedek, Professor für Völkerrecht

Im Jahr 2018 mussten Graz und Schladming ihre Hoffnung, die Olympischen Winterspiele 2026 zu veranstalten, begraben, weil Teile der steirischen Bevölkerung solchen Großprojekten skeptisch gegenüberstehen. Im Fall der Winterspiele in Peking haben bisher die USA, Kanada, Australien und Großbritannien entschieden, keine diplomatischen Vertreter oder andere Regierungsvertreter zu entsenden. Die Sportler und ihre Betreuer sind nicht betroffen, die Wettkämpfe können stattfinden. Ein Boykott sportlicher Veranstaltungen ist grundsätzlich problematisch, soll doch der Sport und nicht die Politik im Vordergrund stehen. Die olympische Idee soll das friedliche Zusammenleben aller Menschen fördern.

China als Veranstalter will sich als deren Vertreter präsentieren. Tatsächlich hält es jedoch in seiner Provinz Xinjiang im Zuge einer allgemeinen Unterdrückungspolitik Hunderttausende Uiguren in Internierungslagern fest, die dort Zwangsarbeit, Umerziehung und Folter erleiden. Die EU hat Sanktionen gegen einige beteiligte Institutionen und Personen verhängt, sie plant auch ein Importverbot für Produkte aus Zwangsarbeit.

Der uigurische Menschenrechtsverteidiger Ilham Tohti erhielt 2019 den Sacharow-Menschenrechtspreis und ist weiter im Gefängnis. Der Träger des Friedensnobelpreises 2010, Liu Xiaobo, musste 2017 im chinesischen Gefängnis sterben, weil ihm trotz schwerer Krankheit eine Entlassung verweigert wurde. In den letzten Jahren hat China systematisch die Freiheitsrechte der Bevölkerung in Hongkong eingeschränkt und die Vertreter der Demokratiebewegung hinter Gitter gebracht. In China selbst errichtete die Regierung einen Überwachungsstaat für die eigene Bevölkerung.

Autoritäre Regierungen neigen dazu, ihr Image mit Großsportveranstaltungen aufbessern zu wollen. So nutzten die Nationalsozialisten 1936 die Olympischen Spiele für ihre Propaganda. Die Boykottentscheidung sendet somit eine Botschaft, nämlich dass die Haltung der chinesischen Regierung den Zielen der olympischen Idee vielfach widerspricht. China selbst ist auch nicht zimperlich mit Boykotten gegen Staaten vorzugehen, die seine Politik nicht teilen, was zuletzt Australien und Litauen erfahren mussten, wo China völkerrechtswidrig Handelsboykotte verhängte. Die westliche Welt, insbesondere die EU, tut gut daran, ihre Werte in Erinnerung zu rufen, um damit zu vermeiden, dass sie durch eine naive Beteiligung am sportlichen Großereignis zur indirekten Unterstützerin des chinesischen Systems wird.

Contra

Der IOC-Präsident wird nicht zum Sympathisanten der chinesischen Regierung, wenn er eine dort in Ungnade
gefallenen Sportlerin kontaktiert. Das friedliche Miteinander des Sports ist einmalig – und nicht zu unterschätzen.

Karl Stoss, Präsident des Österreichischen Olympischen
Komitees (ÖOC) und Mitglied des IOC

Wenn IOC-Präsident Thomas Bach mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai Videokontakt aufnimmt, im Beisein einer IOC-Athletensprecherin und einer Vertreterin des Chinesischen Olympischen Komitees, gilt er dann automatisch als Sympathisant der chinesischen Regierungs- und KP-Parteispitze? Oder war das nicht der logische Schritt, um einen persönlichen Eindruck zu bekommen? Das führt zur Frage: Ist das IOC dafür verantwortlich, dass traditionelle Wintersportländer ihre Olympia-Kandidaturen nach Volksbefragungen zurückgezogen haben und sich deshalb Peking im direkten Kandidaten-Duell gegen Almaty (KAZ) durchsetzen konnte?

Die Debatte ist scheinheilig und führt am Kern vorbei. Diese eindeutigen Worte fanden der 2-fache Olympiasieger Aksel-Lund Svindal und ÖSV-Star Vincent Kriechmayr. SportlerInnen sind nicht automatisch für Kinderarbeit und gegen Menschenrechte, wenn sie in Peking starten. Es wäre naiv zu glauben, dass AthletInnen durch Verzicht auf ihre Berufsausübung Probleme lösen, die die Politik seit Jahrzehnten nicht in den Griff bekommt.

Wer persönlich ein olympisches Dorf besuchen konnte, der weiß, dass dort Aktive aus aller Welt respektvoll miteinander umgehen. Da sitzen Araber neben Israelis, Moslems neben Christen, Afrikaner Seite an Seite mit Asiaten, Europäern usw. Sie treten unter klaren Regeln an und respektieren die Leistung des anderen. Dieses friedliche Miteinander ist einmalig. Möglich wird das, weil der Sport im Mittelpunkt steht, nicht politische Interessen.

Das IOC ließ sich vom Veranstalter per Vertrag zusichern, dass während der Spiele in Peking Meinungs- und Pressefreiheit zu 100 Prozent gelten. Das gilt für jedes Mitglied des Olympic Team Austria. Es wird keinen Maulkorb geben.

Wir halten es für legitim, dass sich unsere SportlerInnen in Peking ihren sportlichen Lebenstraum erfüllen. Das ist in Zeiten der Pandemie nicht selbstverständlich. Die IOC-AthletInnen-Vertretung und IOC-Präsident Thomas Bach werden sich im Vorfeld um ein persönliches Treffen mit Peng Shuai bemühen. Dass sich die Lebenssituation der 3-fachen Olympia-Teilnehmerin konkret verbessert, bleibt zu hoffen. In jedem Fall ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Hätten wir es vor Pyeongchang 2018 für möglich gehalten, dass Nord- und Südkorea unter gemeinsamer Flagge bei Olympia antreten? Auch dadurch wurden nicht alle Probleme gelöst. Aber es war ein überdeutliches Zeichen gegenseitiger Annäherung. Damit liegt der Ball wieder bei der Politik bzw. NGOs.