Die USA stellen sich nach dem Vergeltungsangriff auf die Extremistengruppe "Islamischer Staat" (IS) auf die gefährlichste Phase der am Dienstag endenden Evakuierungen ein. Das Ausfliegen von Ausländern aus Afghanistan werde zügig fortgesetzt, sagte ein Vertreter westlicher Staaten. Jedem solle in den kommenden 48 Stunden eine Ausreise ermöglicht werden. Seinen Angaben zufolge haben Kämpfer der Taliban und ihre Kommandanten den Kreis um den Kabuler Flughafen enger gezogen.

"Wir wissen von keinen zivilen Opfern"

Auf das Flughafengelände seien sie jedoch nicht vorgedrungen, hieß es am Samstag. Nach dem IS-Selbstmordattentat vor einem Tor des Flughafens mit 92 Toten, darunter 13 US-Soldaten, hat die US-Armee am Freitag ein Ziel in der afghanischen Provinz Nangarhar an der Grenze zu Pakistan angegriffen. "Ersten Angaben zufolge haben wir das Ziel getötet. Wir wissen von keinen zivilen Opfern", hieß es in einer Erklärung des US-Militärs. Augenzeugen in Jalalabad, der Hauptstadt von Nangarhar, berichteten von Explosionen bei einem Luftangriff in der Umgebung der Stadt.

Ein Vertreter der US-Regierung, der nicht genannt werden wollte, sagte, mit einer Drohne vom Typ Reaper sei ein Wagen angegriffen worden. Darin seien ein Planer des Attentats und ein IS-Mitglied gewesen. US-Präsident Joe Biden hatte das Verteidigungsministerium angewiesen, einen Angriff auf ISIS-K, den afghanischen IS-Ableger, zu planen. Die mit dem IS verfeindeten Taliban erklärten, einige IS-Mitglieder seien verhaftet worden.

Der IS hat sich zu dem Attentat bekannt. Experten warnten, abgesehen von symbolischen Akten oder begrenzten Angriffen könnten die USA wenig ausrichten, um den ISIS-K existenziell zu treffen. "Wir haben seit 2014 versucht, die Gruppierung in Afghanistan zu zerstören und haben es mit Tausenden Bodentruppen nicht geschafft", begründete ein US-Offizier die Einschätzung.

In den kommenden Stunden müssen die USA und die in Kabul verbleibenden Alliierten neben Ausländern und Ortskräften rund 5.000 Soldaten evakuieren. Der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby, erklärte, es gebe "spezifische und glaubhafte" Hinweise für weitere Anschläge. Die US-Regierung teilte mit, der Abschluss sei sehr wahrscheinlich die gefährlichste Phase des gesamten Einsatzes. Nach Angaben von Armee-Mitgliedern wird die Gefahr umso größer, je weniger Soldaten am Flughafen sind. Die letzten deutschen Bundeswehrsoldaten aus Kabul waren am Freitag zurückgekehrt. Zudem haben auch die spanischen, französischen und italienischen Streitkräfte ihre Evakuierungsmission inzwischen beendet. Zudem kündigte der Oberbefehlshaber der britischen Armee, General Nick Carter, an, dass noch am Samstag die von Briten durchgeführten Evakuierungen von Zivilisten abgeschlossen werden.

"Große Teile unter Kontrolle"

Wie US-Regierungssprecherin Jen Psaki mitteilte, werde man nach dem Truppenabzug in manchen Bereichen mit den radikalislamischen Taliban kooperieren müssen, um weitere Ausreisen zu ermöglichen. "Die Realität ist, die Taliban haben große Teile Afghanistans unter ihre Kontrolle gebracht." Zudem machte der IS-Anschlag deutlich, die Zusammenarbeit mit den lange Zeit bekämpften Taliban könnte die beste Möglichkeit sein, um Afghanistan davon abzuhalten, wieder ein Rückzugsort für terroristische Gruppierungen zu werden.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte unterdessen vor einer fortbestehenden Gefahr durch den IS. Bei einem Besuch in der irakischen Hauptstadt Bagdad am Samstag mahnte Macron die internationale Gemeinschaft, im Kampf gegen den IS "nicht unachtsam" zu werden. "Ich weiß, dass der Kampf gegen diese Terroristengruppen eine Priorität für ihre Regierung ist", sagte Macron nach einem Treffen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Mustafa al-Kadhimi.

Der französische Präsident hält sich anlässlich eines Regionalgipfels in Bagdad auf, an dem auch Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al-Sisi und der jordanische König Abdullah II. teilnehmen. Im Mittelpunkt der Beratungen steht der Kampf gegen den IS und andere radikalislamische Gruppen.