Die Blicke der Welt richten sich auf Genf. In der „Stadt des Friedens“ trifft US-Präsident Joe Biden erstmals seit seinem Amtsantritt im Jänner den Kremlchef Wladimir Putin. Der Gipfel gilt als der heikelste Termin während Bidens Europa-Reise. Eine Zusammenkunft auf dem Territorium des jeweils anderen kam wegen der Störungen im bilateralen Verhältnis nicht infrage.

Warum aber entschieden sich die Planer für die Schweiz und nicht etwa Wien, das sich ebenfalls große Hoffnungen auf die Ausrichtung des Gipfels machte? Nun, die neutrale Schweiz bietet sich als natürlicher Austragungsort an, Helvetien unterhält zu beiden Mächten intensive Beziehungen. Zudem kann die Schweizer Diplomatie auf eine lange Tradition der „guten Dienste“ zurückblicken: In einigen Konflikten vermittelten die Eidgenossen, meist unbemerkt hinter verschlossenen Türen.



Die Schweizer begreifen das Treffen als Auszeichnung. Die Medien berichten über fast jedes Detail. In der Berichterstattung schwingt Stolz mit, die „Weltwoche“ jubelt über einen „Neutralen Triumph“. Diesen Triumph verdanken die Schweizer ihrer hervorragenden Infrastruktur: Genf beherbergt den europäischen UN-Hauptsitz und etliche internationale Institutionen. Seit Langem verfügen Russland und die USA über erheblich ausgerüstete Vertretungen bei den UN. Zum umfangreichen Personal der Missionen gehören selbstredend Geheimdienstmitarbeiter.

Zudem wartet die weltoffene Stadt mit einer Geschichte länderübergreifender Konferenzen und brisanter Gespräche auf: In Genf entstand in den 1860er-Jahren das Rote Kreuz. Der Völkerbund errichtete nach dem Ersten Weltkrieg hier seinen Sitz. Im November 1985 lernten sich Generalsekretär Michail Gorbatschow und Präsident Ronald Reagan in Genf kennen.