Auf Flößen überqueren Nacht für Nacht Menschen den Río Suchiate, der auf 75 Kilometern die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko bildet. Es ist das vorletzte Hindernis für Lateinamerikaner auf dem Weg in die USA. Guatemala stellt seit Jahren eines der größten Kontingente bei den Migranten. Seit dem Wechsel von Trump zu Biden hoffen wieder viele, den Sprung zu schaffen, wenigstens einige Zeit als illegaler Einwanderer Geld zu verdienen, im besten Fall dauerhaft bleiben zu können und die zurückbleibende Familie zu unterstützen.

Migranten überqueren den Grenzfluss
Migranten überqueren den Grenzfluss © (c) AP (Moises Castillo)

Und so haben die die US-Behörden im Mai innerhalb eines Monats an der Südgrenze so viele Migranten aufgegriffen wie seit mehr als zwei Jahrzehnten nicht. Die Administration in Washington steht deswegen bereits unter Druck. Präsident Joe Biden betraute seine Stellvertreterin Kamala Harris mit dem Thema und so fuhr sie auf ihrer ersten Reise diese Woche nach Guatemala. Sie rief die Menschen auf, die gefährliche Reise nicht zu riskieren. „Kommen Sie nicht.“ Wer an die Grenze komme, werde zurückgewiesen.

Traum vom großen Glück

Doch der Traum vom Glück wirkt in Guatemala so verlockend wie nie. Die Gewalt – vor allem gegen Frauen – ist so massiv wie in keinem anderen Land der Welt ohne akuten Krieg. Die soziale Ungleichheit und die weitverbreitete Armut im ländlichen Raum bestehen auch 25 Jahre nach Ende des Bürgerkrieges (1960 bis 1996) fort. Die Städte leiden wiederum unter der Gewalt von Jugendbanden.

Verschärfend in dieser Perspektivlosigkeit, die bereits Hunderttausende in die Flucht trieb, kam 2020 erst Corona und dann eine Naturkatastrophe. Anfang November traf der Hurrikan Eta auf Mittelamerika. In Guatemala wurde der Regen, den der Sturm mit sich brachte, zum lebensbedrohlichen Problem. Ein Dorf wurde vollständig von einem Erdrutsch begraben, es gab etliche Vermisste und Tote. Einsatzkräfte waren zu Fuß unterwegs zu den betroffenen Gebieten, weil Straßen in der gebirgigen Gegend nicht befahrbar sind.

Kamala Harris in Guatemala
Kamala Harris in Guatemala © (c) AFP (JIM WATSON)

Die Überschwemmungen vernichten auch zahlreiche Ernten. Für die kleinbäuerlichen Familien, die von den ohnehin geringen Erträgen leben müssen, bedeutete das den Verlust ihrer Lebensgrundlage. Es sei besorgniserregend, erzählt Mayra Orellana, die für die Hilfsorganisation „Sei so frei“ den Familien in den Bergregionen hilft, „dass in einem Land wie unserem ein Unglück das nächste jagt, und das nächste und das nächste. Und immer sind es die ärmsten Familien, die am stärksten betroffen sind“.