Es begann mit Tik-Tok-Videos und endete mit Hunderten Verletzten und Toten in Gaza. Insider meinen, die dritte Intifada sei da. Seit Wochen flammen in Jerusalem Unruhen auf, die ihre blutigen Höhepunkte am Freitag und Montag fanden. Zehntausende Moslems waren am Freitag zum Gebet auf dem Tempelberg gekommen. Mehrere gerieten mit der israelischen Polizei aneinander, warfen Steine und andere Objekte. Die Sicherheitskräfte antworteten mit Gummigeschossen. Anschließend meldete sich die Hamas zu Wort, die im Gazastreifen regiert. Sie feuerte Raketen auf die Negevwüste die Hafenstadt Aschkelon und die Umgebung von Jerusalem ab. Israel antwortete mit einem Luftangriff auf den Gazastreifen, bei dem nach Angaben der dortigen Behörden elf Erwachsene und neun Kinder starben.

Seit Jahren habe Jerusalem keine derartige Gewalt mehr gesehen, sagen Nahostexperten. Der Beginn lässt sich nicht auf ein Ereignis herunterbrechen, Brennpunkte gibt es mehrere. Der einstige Premier Ehud Olmert sagte im Sender Kan: „Eine Art Intifada braut sich zusammen – es ist möglich, sie zu verhindern.“ Mit „Intifada“ ist ein Palästinenseraufstand gemeint.

Wut bei den Arabern

Zum Beginn des moslemischen Fastenmonats Ramadan hatten Beschränkungen wegen der Pandemie für Wut bei den Arabern Jerusalems gesorgt. Besonders am Damaskustor, das in das moslemische Viertel der Altstadt führt, kam es zu Auseinandersetzungen mit den israelischen Sicherheitskräften.

Zur selben Zeit brachen sich ethnische Spannungen Bahn, als jüdische und arabische Jugendliche aufeinander losgingen. Einige Palästinenser hatten zuvor Tik Tok-Videos verbreitet, die zeigten, wie sie junge ultraorthodoxe Juden angreifen. Die Opfer wurden misshandelt.

Die rechtsextreme jüdische Gruppe „Lehava“ rief daraufhin zum Protest „für die nationale Ehre und gegen arabische Gewalt“ auf. Die Mitglieder forderten aber selbst Gewalt. Über Araber schrieben sie in den sozialen Netzwerken: „Wir müssen ihre Gesichter zerschmettern, sie lebendig begraben“. Lehava wendet sich gegen die Verständigung zwischen Juden und Arabern.

Weiterer Zündstoff


Zündstoff bietet auch die geplante Zwangsräumung von Häusern im vorwiegend arabischen Stadtviertel Sheikh Jarrah, in denen seit Jahrzehnten palästinensische Familien leben. Jetzt sollen jüdische Siedler einziehen. Die israelische Regierung beharrt darauf, dass die Hauptstadt ihres Staates „ein ungeteiltes Jerusalem“ ist, die Palästinenser jedoch sehen den Ostteil als Hauptstadt ihres zukünftigen Staates. Das israelische Außenministerium erklärte, es handele sich um einen „Eigentümerdisput“, die Araber sehen die anstehenden Ausweisungen als „Judaisierung ihres Viertels“. Allerdings gehörten die Häuser vor dem Unabhängigkeitskrieg 1948 tatsächlich jüdischen Familien. Die verließen sie aber vor Ausbruch des Krieges. Jordanien, das danach den Ostteil der Stadt kontrollierte, brachte dort später palästinensische Flüchtlinge unter.

Seit Jahren klagt die Pro-Siedler-Organisation Nachalat Schimon, die Immobilien in arabischen Vierteln der Stadt aufkauft, die Räumung der Häuser ein. Ein Gesetz von 1970 besagt, dass jüdische Israelis das Recht haben, ihre Immobilien in Ostjerusalem zurückzufordern, sofern sie vor dem Unabhängigkeitskrieg ihr Eigentum waren. Die jetzigen Bewohner haben Gegenklage eingereicht. Sie können allerdings kein derartiges Recht in Anspruch nehmen. Die Anhörung zum konkreten Fall hätte in diesen Tagen stattfinden sollen. Doch Generalstaatsanwalt Avichai Mendelblit bat um eine Verschiebung, um die Emotionen nicht weiter hochkochen zu lassen. Der Oberste Gerichtshof gab dem am Sonntag statt. Doch der israelische Premier Benjamin Netanjahu vom rechtskonservativen Likud beharrte in einer Fernsehansprache darauf, „Israel kann in seiner Hauptstadt bauen, wo es bauen will.“

Seit 2009 hat es in Sheikh Jarrah keine Räumungen gegeben. Damals hatte die internationale Gemeinde Israels Regierung unter Druck gesetzt, diese zu stoppen. In den vergangenen Jahren nahmen die Klagen gegen die palästinensischen Bewohner wieder zu, vor allem durch das Laissez-faire in Sachen jüdischem Siedlungsbau der US-Regierung unter Donald Trump.

Auch Itamar Ben-Gvir, Knessetabgeordneter und Chef der rechtsextremen Partei Otzma Jehudit, will in Sheich Jarrah mitmischen. Am Donnerstag eröffnete er dort vorübergehend sein „Büro“, wie er es nannte. Gemeinsam mit Benzi Gopstein, Anführer der extremistischen Gruppe Lehava, machte er es sich auf Plastikstühlen bequem. Ein Akt, der nur eins wollte: provozieren. Doch nach Gesprächen im Büro des Premiers packte Ben-Gvir am Freitag seine Sachen wieder ein und verschwand aus Sheikh Jarrah. Die Wut der Anwohner aber blieb.