Am Freitag hat die italienische Regierung ihren Investitionsplan für den Wiederaufbau in Folge der Corona-Pandemie nach Brüssel geschickt. Der Plan ist ein kollektives Werk der Experten in den verschiedenen Ministerien und doch würde sich niemand wundern, wenn am Ende nur eine Unterschrift unter dem Papier stünde. Die von Mario Draghi. Draghi, der nicht nur angesehenste italienische Politiker, sondern eine der am meisten wertgeschätzten öffentlichen Persönlichkeiten in Italien, wurde im Februar von Staatspräsident Sergio Mattarella mit der Regierungsbildung beauftragt. Seine Nominierung lag lange in der Luft. Wenn es schwierig werden würde, dann war klar, dass Draghi den Retter geben sollte. Und es wurde schwierig, vor allem wegen Corona.

Großes Vertrauen

Italien hat sein politisches Schicksal in die Hände einer Person gelegt. Das ist Chance und Crux zugleich angesichts der aktuellen Situation. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank, dem die Rettung des Euro („whatever it takes“) zugeschrieben wird, findet als italienischer Ministerpräsident so viel Gehör wie keiner seiner Vorgänger. Draghi ist eine Autorität im kapitalistischen, auf ständiges Wachstum geeichten System. Angesichts des allgemeinen, großen Vertrauens in die Figur treten Fragen in den Hintergrund, ob nicht vielleicht auch das System seine Schwächen hat. Aber für solche Fragen ist in der Pandemie-Panik keine Zeit. Der 73 Jahre alte Draghi ist der starke Mann Italiens und vielleicht bald sogar Europas. Wenn Angela Merkel im Herbst ihre Kanzlerschaft beendet, gibt es keinen angeseheneren Politiker in Europa.

Das ist das Pfund, mit dem Italien derzeit wuchern kann. Es dauerte gerade einmal zwei Monate, um von der Problem-Republik zum Hoffnungsträger zu mutieren. Dabei ist es natürlich eine Illusion, dem Ex-Banker so viel Einfluss und Veränderungspotential zuzuschreiben. Die Gleichung kann nicht einfach nur lauten: Mit Draghi geht es aufwärts, andernfalls geht es mit Italien wieder bergab. Die Realitätsprüfung wird schon bald kommen. Spätestens 2023, also in zwei Jahren, scheidet der Ministerpräsident aus dem Amt. Es ist auch nicht gesagt, dass die große Parlaments- und Parteienmehrheit, die seit zwei Monaten die Regierung Draghi stützt, sich dauerhaft als so stabil darstellt wie derzeit.

40 Seiten

Draghi und seinem Expertenteam ist es zu verdanken, dass in großer Eile ein für Brüssel wohl annehmbarer Investitions- und Reformplan erstellt wurde. Gerne wird der Vergleich angeführt, im vagen Konzept der Vorgängerregierung von Giuseppe Conte hätte es gerade einmal eine Seite zu den Strukturreformen gegeben, die im Tausch für die Milliarden-Zuschüsse und -Darlehen gefordert werden. In Draghis Plan sind es 40 Seiten, in denen aber bislang auch nur Versprechungen zu finden sind: Beschleunigung der Justiz, Vereinfachung der Gesetzgebung, Steuerreform und Modernisierung der Verwaltung. Brüsseler Beamte monierten die ungenauen Formulierungen. Draghi soll dann gepoltert haben: „Ich garantiere persönlich.“

One-Man-Show

Europa, aber vor allem die Italiener selbst sollten sich von dieser One-Man-Show nicht in die Irre führen lassen. Die Reformen werden vom Parlament gemacht, dort müssen die Mehrheiten gefunden werden. Vor allem aber gilt das für die Mega-Investitionen, die in Italien dem Wiederaufbau-Plan zufolge in den kommenden fünf Jahren getätigt werden sollen. 221 Milliarden Euro kommen alleine von der EU, die Regierung hat etwa für langfristigere Infrastrukturprojekte noch einmal 30 Milliarden Euro zusätzlich freigemacht. Draghi hat gewiss maßgeblich mitgewirkt daran, dass der Geldregen bald auf Italien niedergehen kann. Doch dann beginnt die eigentliche Arbeit. Man kann in zwei Monaten einen überzeugenden Investitions- und Reformplan schreiben und Draghis Leute sind gewiss Meister in dieser Disziplin.

Geld an die richtigen Stellen bringen

Die Kontrolle, dass die Milliarden an die richtigen Stellen fließen und sinnvoll eingesetzt werden, diese Aufgabe können Draghi und die Seinen nicht alleine leisten. Italien hat eine strukturelle Schwäche bei der Ausgabe von Fördergeldern. Das liegt vor allem am fehlenden Know How vor Ort, dort, wo die geplanten Projekte verwirklicht werden sollen. Dieses Problem wird mit Draghi nicht verschwinden. Will Italien seinen Schwung nützen, muss sich das Land mit allen seinen Widersprüchen bald selbst den Herausforderungen gewachsen zeigen.